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Dienstag, 24. März 2015

Arme reiche Kirche

Resümee nach 40 Jahren im Kirchendienst

von Hans Löhr, Pfr. i.R.

So viel Selbstbewusstsein muss sein: Weder Apple noch Google, weder Mercedes noch BMW noch sonst irgendein Konzern haben ein so gutes Angebot wie die Kirche: Glaube, Hoffnung, Liebe. Aber auch so viel Selbstkritik muss sein: Kaum ein Anbieter hat solche Probleme, die Menschen von der Qualität und dem Nutzen seines Angebots zu überzeugen wie die Kirche. Über 30.000 Evangelische haben 2014 die Kirche in Bayern verlassen. So viele wie nie zuvor. Und von denen, die noch bleiben sind es weniger als 20 Prozent, die das Angebot überhaupt kennen und nutzen. Der an der Bibel und den reformatorischen Bekenntnissen orientierte Glaube, zu dem die Kirche einladen soll, wird von über 80 Prozent ihrer Mitglieder nicht mehr geteilt. Andererseits hat die Evangelische Kirche in Deutschland allein 2014 über fünftausend Millionen Euro an Kirchensteuern eingenommen. 2015 werden es voraussichtlich noch mehr sein. Ebenfalls so viel wie nie zuvor.

Allein diese Zahlen zeigen, dass da etwas nicht stimmen kann. Die Kirche, so hat man schon in den 1990er Jahren durch Umfragen festgestellt, hat ein massives Problem mit dem Glauben, nicht nur bei ihren Mitgliedern, sondern auch bei vielen ihrer Mitarbeitenden. Aber sie hat auch das Geld, trotzdem so weitermachen zu können wie bisher als gäbe es dieses Problem nicht. Der Kirchensteuer sei Dank! Bequemer kommt keine andere Kirche in der Welt an das viele Geld als in Deutschland und Skandinavien. Aber tut denn die Kirche nicht auch viel Gutes besonders im Bereich der Diakonie? Doch, das tut sie mit dem Geld des Staates, mit dem Geld aller Steuerzahler ob Christen, Muslime oder Atheisten, das sie zusätzlich (!) noch für soziale und diakonische Aufgaben bekommt. Das tun aber auch andere Träger und Verbände wie die Arbeiterwohlfahrt und das Rote Kreuz. Was aber nur die Kirche tun kann, ist, den „Glauben“ zu wecken und zu stärken, „der durch die Liebe tätig ist“.
Am deutlichsten zeigt sich das Problem mit dem Glauben an den Zahlen der Gottesdienstbesucher. Der Schwund hat längst die Landgemeinden erreicht auch in Westmittelfranken, das traditionell als das evangelische Kernland in Bayern angesehen wird. Gerade mal drei bis fünf Prozent der Gemeindeglieder auf dem Land besuchen an normalen Sonntagen einen traditionellen Kirchengottesdienst. In den Städten sind es nur noch zwischen einem und zwei Prozent. Anders gesagt, 95 bis 99 Prozent bleiben zu Hause. Das Bild wird nicht viel freundlicher, wenn man noch die Kindergottesdienste hinzugerechnet. Im Gegenteil. Nur noch in 720 von 1541 Kirchengemeinden in Bayern findet ein Kindergottesdienst statt oft mit nur wenigen Kindern und von mäßiger Qualität. Die zeitgleiche  „Sendung mit der Maus“ ist für die meisten Kinder einfach attraktiver. Dabei gehört zu den Kernaufgaben von Kirche, gerade den Kindern eine Heimat für ihren Glauben zu bieten, sie dabei zu begleiten, zu ermutigen und zu stärken. Außerdem sind sie die Zukunft der Kirche. Nur wie soll eine Kirche Zukunft haben, wenn sie die Kinder kaum noch erreicht? Der Religionsunterricht gleicht dieses Defizit nicht aus, da er hauptsächlich der Wissensvermittlung dient.
Auf diesem Hintergrund verwundern die Worte, die der Vorgänger im Amt des Landesbischofs, Dr. Johannes Friedrich, zu seinem Nachfolger, Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm, gesagt hat: »Ich übergebe dir eine Kirche in sehr gutem Zustand.“ Nun ja, es kommt wohl darauf an, welcher Aspekt von Kirche gemeint ist. Die Einnahmen sind tatsächlich in sehr gutem Zustand ebenso die Organisation des Kirchenbetriebs in der bayerischen Landeskirche. Viele kirchliche Gebäude sind renoviert. Es wurden viele Arbeitsplätze geschaffen, die Rechtssammlung der Kirche mit ihren zahllosen Gesetzen und Vorschriften platzt aus allen Nähten und es gibt kaum Skandale. Doch das macht Kirche nicht aus. In allen diesen Bereichen sind andere Organisationen auch gut.

Bleiben wir beim Thema Gottesdienst. Die Landessynode hat sich 2013 in Nürnberg damit befasst. Dabei kamen auch zeitgemäße Gottesdienstformen in den Blick. Doch bei der Formulierung des Ergebnisses hat die Synodalen der Mut verlassen. Nun heißt es: Der traditionelle Kirchengottesdienst sei das „Standbein“. Ein hin und wieder angebotener, alternativer und zeitgemäßer Gottesdienst sei  das „Spielbein“. Dieser dem Fußball entlehnte Vergleich hinkt leider im wahrsten Sinn des Wortes, weil das „Standbein“ an erheblichen Durchblutungsstörungen leidet und kein Trainer der Welt einen Spieler mit einem solchen Bein aufstellen würde. Und schließlich ist es das Spielbein, das die Tore schießt. Das gilt auch für den Gottesdienst. Wo in einzelnen Gemeinden regelmäßig ein professionell gemachter, zeitgemäßer Gottesdienst angeboten wird, schnellen die Teilnehmerzahlen in die Höhe. Fünfmal mehr Besucher als sonst sind keine Seltenheit. Das zeigt, dass das Interesse an einem Gottesdienst, der die Bedürfnisse der Besucher aufnimmt, durchaus vorhanden ist.
Gleiches gilt auch für innovative Kindergottesdienste. Mit viel Liebe, Fantasie, Aufwand und Kreativität lassen sich Kinder auch heute noch begeistern und vom Fernseher und der Spielekonsole weg locken. Doch Gemeinden, die solche Angebote machen, orientieren sich bewusst nicht an den überkommenen Konzepten der Landeskirche, sondern gehen eigene Wege.

Für eine Übergangszeit können der traditionelle und der zeitgemäße Gottesdienst durchaus nebeneinander bestehen, auch wenn dieses doppelte Angebot für die Mitarbeitenden einer Gemeinde eine große Herausforderung darstellt. Die Realität aber ist, dass wer zum Beispiel in Nürnberg am Sonntagvormittag einen zeitgemäßen Gottesdienst besuchen will am ehesten bei den Freikirchen fündig wird. Traditionelle Gottesdienste mit geringen Besucherzahlen werden hingegen zuhauf angeboten und zu erheblichen Kosten, wenn man den finanziellen Gesamtaufwand für einen Gottesdienst auf jeden einzelnen Besucher umrechnet. Aber, wie gesagt, Geld ist ja da.
Damit fehlt der Innovationsdruck, der Betriebe und Unternehmen zwingt, Änderungen vorzunehmen, wenn die Nachfrage der Kunden sinkt und die Kosten steigen. Nahezu alle anderen Kirchen in der Welt außerhalb Deutschlands teilen von Anbeginn die wirtschaftlichen Unsicherheiten und Herausforderungen, vor die auch ihre Mitglieder gestellt sind. Doch auch der jetzige Landesbischof verteidigt vehement das deutsche Kirchensteuersystem mit Verweis auf seine Erfahrungen in den Kirchen der USA, die auf die direkte Finanzierung durch ihre Mitglieder angewiesen sind. Er sagt, dass die Kirchensteuer „ein Segen“ sei, damit Kirche ihren Auftrag erfüllen könne. Da drängen sich drei Fragen auf: Warum verliert die bayerische Landeskirche trotzdem und in großem Umfang Mitglieder, wenn der Auftrag doch lautet, Menschen für die gute Nachricht von Jesus Christus zu gewinnen? Warum hat sie dieses gravierende Glaubensproblem? Und warum haben bei den angeblichen Vorzügen nicht auch alle anderen Kirchen in der Welt längst das Kirchensteuersystem samt seinem Segen für sich entdeckt?  
Wie gesagt, das Geld ist ja da. Allerdings dürfen nicht die Gemeinden die Beiträge ihrer Mitglieder vereinnahmen. Sie werden zentral an die Kirchenleitung abgeführt, von wo ein Teil davon den Gemeinden unabhängig von ihrer jeweiligen Leistungsfähigkeit zugewiesen wird. Eine Auskunft darüber, wie viel Kirchensteuerertrag in einer Gemeinde zusammenkommt, wird nicht erteilt. Die Kirchensteuern, die aus den Gemeinden kommen, werden auch dafür verwendet, die zentralen Verwaltungsstellen in den Dekanatsbezirken und in München ständig auszubauen. Begründet wird dies damit, dass die Kirchengemeinden von Verwaltungsarbeit entlastet würden. Tatsächlich nehmen aber die Bestimmungen ständig zu, die zu steigender Verwaltungsarbeit führen. Außerdem geht mit der Verlagerung von Kompetenzen der Kirchengemeinden an zentrale Verwaltungsstellen ein schleichender Verlust an Selbstständigkeit und Selbstverantwortung einher. Die Gemeindediakonie, die Gabenkassenverwaltung, die Mitgliederverwaltung, die Verwaltung der Liegenschaften – alles wurde zentralisiert. Der neu geschaffene, zentrale „Pfarrhausfond“ zum Beispiel hilft zwar den Gemeinden, Renovierungs- und Baumaßnahmen leichter zu finanzieren. Gleichzeitig geht aber die Verantwortung der Gemeindeglieder für ‚ihr‘ Pfarrhaus und damit auch die Identifikation verloren. Wofür früher die Gemeindeglieder um Unterstützung gebeten und dazu überzeugt werden mussten, reicht jetzt ein Antrag an die jeweilige kirchliche Baubehörde. Allerdings führt das auch zu Kuriositäten, dass zum Beispiel nur die Schauseiten eines Pfarrhauses gestrichen werden, die nicht einsehbaren Fassaden-Wände aber weiterhin abblättern dürfen. Von der Landeskirchenzentrale in München ist derartiges nicht bekannt.

Wo bleibt bei alledem die Theologie? Wo bleiben die Theologieprofessoren an den Hochschulen und in den Fakultäten? Sie kosten die Steuerzahler viel Geld. Aber ihr Beitrag zur Lösung der gravierenden Probleme, mit der die Kirche zu kämpfen hat, ist kaum wahrnehmbar. Da sich die meisten von ihnen am bestehenden Zustand und am Hergebrachten orientieren, sind sie Teil des Problems und nicht der Lösung. Doch als „heilige Kühe“ der Landeskirche sind sie unantastbar, auch wenn sie kaum etwas zum Glaubensleben der Gemeindeglieder und zur Erneuerung der Kirche beitragen. Gerade aber die Ausbildung des Pfarrernachwuchses bedürfte einer grundlegenden Reform, aus der hervorgeht, was für die Ausbildung zum Pfarrdienst heute Vorrang haben muss und was demgegenüber nachrangig ist. Auch die Damen und Herren Theologieprofessoren sind, wie auch der Landesbischof, die Regionalbischöfe, die Oberkirchenräte, Dekane, das große Heer der nichttheologischen Angestellten und nicht zuletzt die Pfarrerinnen und Pfarrer Dienstleister der Gemeinden und nicht ihre Herren. Jesus sagt dazu: »Die Herrscher der Völker, unterdrücken ihre Leute und lassen sie ihre Macht spüren. Bei euch muss es anders sein! Wer von euch groß sein will, soll euer Diener sein.« (Markus 10)

Was also wäre zu tun? Eine unvollständige und auch verbesserungsbedürftige Liste könnte so aussehen:
1. Das Glaubensthema muss wieder in den Mittelpunkt aller kirchlichen Tätigkeiten gerückt werden. Alles andere muss sich dem unterordnen. Dabei geht es nicht um bürgerliche Moral oder säkulare Sozialethik. Es geht um die persönliche Glaubensbeziehung zwischen Gott und dem Einzelnen, wie sie Jesus gelebt und allen, die ihm nachfolgen wollen, ans Herz gelegt hat. Ein solcher Glaube trägt, ermutigt und heilt auch heute. Er fordert aber auch heraus, dass sich Christen in diese Welt einbringen und sich im Großen wie im Kleinen für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung einsetzen.
2. Die Angebote von Kirche bzw. Kirchengemeinden müssen sich an den Bedürfnissen und Interessen der Menschen von heute orientieren und nicht an denen der Pfarrerinnen und Pfarrer. Maßgeblich ist die Frage, die Jesus gestellt hat: »Was willst du, dass ich dir tun soll?«
3. Menschen heute erwarten allgemein von Angeboten gute Qualität. Kirche hat das beste Angebot. Dem muss auch beste Qualität bei der Vermittlung und Darbietung entsprechen.
4. Evangelische Gemeinden müssen sich wieder mehr Selbstverantwortung zutrauen und sie sich auch nehmen. Sie sollten die finanziellen Beiträge ihrer Mitglieder selbst erheben und selbst darüber entscheiden, wofür sie verwendet werden sollen. Sie sollten auch für Personal und Liegenschaften Selbstverantwortung übernehmen und entscheiden, welche Hauptamtlichen und welche Gebäude sie sich noch leisten können.
5. Damit einhergehend muss der Zentralismus und die schleichende Hierarchisierung in der Kirche der Reformation wieder zurückgedrängt werden.
6. Die evangelische Kirche darf sich über ihren tatsächlichen Zustand nicht länger in den Kirchensteuerbeutel lügen. Sie muss akzeptieren, dass der gegenwärtige Kirchenbetrieb ohne die Kirchensteuer nicht mehr funktioniert und das ganze System wie ein Kartenhaus zusammenbrechen wird, wenn dieses Finanzierungsmodell aus welchen Gründen auch immer entfallen wird.
7. Die Kirchengemeinden und ihre Mitglieder dürfen nicht darauf hoffen, dass die gegenwärtigen Probleme der Kirche mit Reförmchen von oben behoben werden können. Notwendige Veränderungen müssen in den Ortsgemeinden, in den Kirchenvorständen und bei den Pfarrerinnen und Pfarrern beginnen.
8. Die völlige Trennung von Kirche und Staat muss, wie in den meisten anderen Ländern, auch in unserem Land angestrebt werden. Es ist besser, wenn die Kirche von sich aus dieses Angebot macht, als wenn ihr die Trennung eines Tages aufgezwungen wird.

Angesichts der vielen Kirchenaustritte sprach der Landesbischof kürzlich davon, dass unsere evangelische Kirche wieder eine „Erweckung“ brauche, dass also sich viele Menschen in unserem Land, die der Kirche gegenüber gleichgültig bis abweisend sind, sich für den Glauben und die Ortsgemeinde neu begeistern lassen. Leider kann man eine solche „Erweckung“ nicht einfach machen. Man muss dafür mit Geduld und Hingabe beten und dann für dieses Gebet mit Geduld, Hingabe und Professionalität arbeiten.

So viel Selbstbewusstsein muss sein: Weder Apple noch Google, weder Mercedes noch BMW noch sonst irgendein Konzern haben ein so gutes Angebot wie die Kirche: Glaube, Hoffnung, Liebe. Der Auftrag der Kirche ist es, dieses Angebot den Menschen bekannt zu machen und sie zu einem sinnvollen und erfüllten Leben einzuladen. Doch dazu muss sich die Kirche grundlegend erneuern. Wie sonst will man in zwei Jahren guten Gewissens 500 Jahre Reformation feiern?


Hans Löhr, Pfarrer i.R., zuvor Gemeindepfarrer in Röthenbach an der Pegnitz, Studentenpfarrer an der Universität München, Leiter des evangelischen Münchenprogramms eMp und zuletzt Gemeindepfarrer in der Pfarrei Sommersdorf-Burgoberbach und Thann.

Donnerstag, 15. Januar 2015

»Ich war Pfarrer aus Leidenschaft«

Abschiedsworte von Hans Löhr 
Ungekürzter Artikel für Gemeindebrief der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinden Sommersdorf-Burgoberbach und Thann vom 15.1.2015

Fast 40 Jahre war ich nun im Kirchendienst als Vikar in Erlangen, als Pfarrer auf der zweiten Pfarrstelle in Röthenbach an der Pegnitz, als geschäftsführender Studentenpfarrer an der Universität München, als Leiter der Geschäftsstelle „Evangelisches Münchenprogramm“ und schließlich die letzten 13 1/2  Jahre als Pfarrer in der Pfarrei Sommersdorf-Burgoberbach und Thann.
Nun also geht mein aktiver Pfarrdienst am 28. Februar zu Ende und ab 1. März bin ich Rentner. Grund genug, auf das Berufsleben zurück zu blicken und Bilanz zu ziehen. Allerdings werde ich nicht komplett von der Bildfläche der Gemeinde verschwinden, da meine Frau nun meine halbe Stelle zusätzlich übernommen hat und sich über die eine oder andere Unterstützung freut.
Wie jeder Pfarrer und jede Pfarrerin habe ich eine Vielzahl von Menschen getauft, in der Schule unterrichtet, konfirmiert, getraut und beerdigt. Hinzu kommen zahllose Besuche und Gottesdienste an Sonntagen und bei verschiedenen Anlässen. Das Schöne an diesem Beruf ist, dass man viel mit Menschen unterschiedlichen Alters und aus unterschiedlichen sozialen Schichten zu tun hat.
Doch dazu gehören auch schmerzliche Erlebnisse wie jene furchtbaren  Tage im August 2006, als ein Mann im Nachbardorf seine Frau, seine Mutter seine beiden Kinder und zuletzt sich selbst erstach, und ich mit meinem katholischen Kollegen die Angehörigen begleitet und die fünf Toten beerdigt habe.

Neuerungen
Meiner Frau und mir lag von Anfang an daran, die Gemeinde nicht nur zu verwalten, sondern die Herausforderungen unserer Zeit anzunehmen und mit neuen Angeboten zu reagieren. Wir wollten und wollen den Niedergang der Kirche nicht achselzuckend zur Kenntnis nehmen und dabei monatlich unser festes Gehalt einstreichen, das man als Pfarrer unabhängig davon bekommt, was man leistet. Deshalb haben wir 2004 zunächst im Bereich Kindergottesdienst mit den „Sonntagskindern“ ein neues Projekt begonnen, das bis heute gut angenommen wird. Ermutigt durch diesen Erfolg haben wir gemeinsam mit den Kirchenvorständen weitere Neuerungen eingeführt allen voran den „Lichtblickgottesdienst“ für die große Zahl von Menschen, die nach wie vor Interesse am Glauben haben, aber mit den traditionellen Kirchengottesdiensten nichts mehr anfangen können.
Nach intensiven Vorüberlegungen starteten wir im Jahr 2008 diesen alternativen Gottesdienst in der Schulaula in Burgoberbach mit inzwischen 300 Besuchern aus der Region.

Unsere Zukunft: Die Kinder
Gleichzeitig wurden die Angebote für Kinder erweitert. Nun gibt es auch noch den Wichtel- und Kinderlichtblick, die Jungschar, ein Angebot für Teens und nach wie vor die Wichtelgottesdienste in der Kirche.
Die Zukunft der Gemeinde sind nun mal die Kinder. Wenn man sie bis zu ihrem 13. Lebensjahr nicht für den Glauben begeistern kann, sind sie in aller Regel für die Gemeinde und die Kirche verloren.

Traditionelle Gemeindearbeit
Nach wie vor gibt es auch das traditionelle Gottesdienstangebot in den Kirchen in Sommersdorf und in Thann. Es werden Gemeindeglieder bei Geburtstagen und im Krankenhaus besucht, auch die Seniorenarbeit und der Diakonieverein werden  fortgeführt.
Auch die Kontakte zu unseren Partnern in Tansania sind weiterhin lebendig. Seit vielen Jahren bekommen wir erfreulich viele Spenden für die Waisenkinder, die wir dort unterstützen. Wir haben diese Arbeit unseres Vorgängers, Pfarrer Hansjörg Meyer, gern fortgesetzt.
Ein weiterer Schwerpunkt meiner Arbeit war die Öffentlichkeitsarbeit. Der Gemeindebrief wurde komplett überarbeitet und ein Internetauftritt der Pfarrei installiert.

Tägliche Glaubensimpulse
Unsere Glaubensimpulse  „Nachdenken über die Bibel“ bekommen täglich ca. 170 Interessierte über E-Mail oder, wie in Thann, in die Briefkästen. Dazu legen wir das tägliche Losungswort und den Lehrtext aus und fügen ein Gebet an. Dahinter steht das Ergebnis einer weltweiten Umfrage von Willow Creek, dass nichts das Glaubenswachstum eines Menschen so fördert wie die Beschäftigung mit der Bibel. Weltweit werden unsere Losungsauslegungen auch im Internet-Blog gelesen. Die inzwischen 1250 Auslegungen wurden seit Mai 2010 bereits 127.000 Mal aufgerufen: www.glaubenswachstum.blogspot.de

Die Ehrenamtlichen liegen uns besonders am Herzen. Ohne sie könnten wir den größten Teil unserer Arbeit nicht leisten. Als Dankeschön bekommen die Mitarbeitenden in Leitungspositionen die besten Fortbildungsangebote, die wir in Deutschland finden können.
An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich all denen danken, die mich in meiner Arbeit unterstützt haben: den Sekretärinnen und Kollegen, Mesnerinnen und Organisten, den Mitarbeitenden im Kirchengemeindeamt, den Ehrenamtlichen und meiner Frau.

Gemeindemotto
Natürlich freuen wir uns über den verhältnismäßig großen Zuspruch für unsere Arbeit. Aber auch wir leiden nach wie vor unter einem Desinteresse bei der Mehrheit unserer Gemeindeglieder. Wir erreichen viele mit dem einen oder anderen Angebot. Aber nur der kleinere Teil erlebt, was das Motto unserer Arbeit ist:
Die Gemeinde ist der Ort, wo dein Glaube ein Zuhause hat und, so füge ich mit Bill Hybels hinzu: Eine lebendige Ortsgemeinde ist die Hoffnung der Welt.
Darum ging es mir vor allem in den letzten 20 Jahren und wird es meiner Frau auch in Zukunft gehen.

Daseinsberechtigung für Christengemeinde
Unseres Erachtens hat eine Christengemeinde nur dann eine Daseinsberechtigung, wenn sie Menschen ermutigt
• die persönliche Beziehung zu Gott / Jesus zu vertiefen (Glaubenswachstum),
• für Notleidende in der Nähe und der Ferne ein Herz zu haben und
• für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung einzutreten.
Nur so hat der Glaube und das Leben Sinn. Anders gesagt: Die Taufe ist wertlos, wenn nicht der Glaube hinzu kommt, der durch die Liebe tätig wird.

Thema Frieden
Seit meiner Jugendzeit habe ich mich gegen Krieg in jeglicher Form eingesetzt. Zunächst ging es gegen den Vietnamkrieg, in dem die USA die sogenannten westlichen Werte wie die Menschenrechte oder das Selbstbestimmungsrecht mit einer äußerst brutalen Kriegführung gegen die Zivilbevölkerung verraten haben.
Später war ich in der Friedensbewegung gegen die atomare Bedrohung aktiv. In den neunziger Jahren leitete ich die „Münchner Friedensrunde für Kroaten, Serben, Muslime und Deutsche“. Damals unterstützten wir die Balkan-Flüchtlinge und halfen mit humanitären Aktionen in den vom jugoslawischen Bürgerkrieg zerstörten Regionen. Während des ersten Golfkriegs lebte einige Zeit ein französischer Deserteur in unserer Familie. Heute wehre ich mich gegen die US-Kampfmaschinen über unseren Köpfen, die die Bewohner unserer Dörfern als Zielscheiben nehmen, um so den Krieg zu üben.

Thema Terrorismus
In meiner Zeit als Studentenpfarrer hat mich auch das Thema Terrorismus beschäftigt. Auf Wunsch einer Politikerin besuchte ich einen Gefangenen in Straubing, der am Überfall auf die deutsche Botschaft in Stockholm beteiligt war. Gleichzeitig initiierte unsere Studentengemeinde sogenannte „Konsultationen zum Terrorismus“ in der evangelischen Akademie Tutzing mit dem Ziel, den RAF-Terror in der Bundesrepublik zu beenden. Dabei kamen zum ersten Mal alle an diesem Problem Beteiligten zu nichtöffentlichen Gesprächen zusammen: Vertreter des Staates wie die Bundesanwaltschaft, das Bundespräsidialamt, Justizminister der Länder, Gefängnisdirektoren, Verfassungsschutz, Rechtsanwälte, Angehörige von Terroropfern und von inhaftierten wie flüchtigen Terroristen.

Kirchenaustritte ohne Ende
In den letzten 40 Jahren habe ich aber auch miterlebt, wie die Kirchenbindung in der Bevölkerung spürbar nachgelassen hat, die evangelischen Traditionen abgebrochen und die Kirchenaustritte in schwindelerregende Höhen geklettert sind.
Von 1970, als ich mein Theologiestudium in Berlin aufgenommen habe, bis heute sind allein in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern 600.000 Evangelische aus der Kirche ausgetreten. Das sind mehr Menschen als die Stadt Nürnberg Einwohner hat oder ein knappes Viertel unserer gegenwärtigen zweieinhalb Millionen Mitglieder.
Zunächst habe ich das wie die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen als eine Zeiterscheinung hingenommen, gegen die man wenig ausrichten könne. Aber je länger desto mehr ist mir klar geworden, dass wir Kirchenleute einen großen Anteil daran haben. Habe ich in der ersten Hälfte meines Berufslebens unsere evangelisch-lutherische Volkskirche noch verteidigt, bin ich in der zweiten Hälfte zunehmend kirchenkritisch geworden. 
Neben dem durch gesellschaftliche Ursachen bedingten Bedeutungsverlust der Kirchen in Westeuropa kommen eigene Fehler hinzu, besonders das Versagen bei der Glaubensvermittlung. In einem Satz: Unsere evangelische Kirche in Bayern wird dem Auftrag Jesu nicht gerecht, Menschen für das Evangelium zu gewinnen und anzuleiten, wie man als Christ lebt und glaubt. Stattdessen verliert sie ihre Mitglieder am laufenden Band. Stattdessen herrscht bei vielen, die noch in unserer Kirche sind, eine erschreckende Unkenntnis von Gott und das Missverständnis, es ginge im Glauben um die bürgerliche Moral. Viele Jahrzehnte lang hat man den Menschen eingetrichtert, was zu glauben ist und was man tun und lassen muss. Aber man hat sie weithin allein gelassen mit der Frage wie das denn mit dem Glauben geht, wie ich im Alltag damit zurecht komme und wie ich das Glück, die Schönheit und Freiheit des Glaubens erleben kann.

McKinsey in der Kirche
Es waren evangelische Christen der Beratungsfirma McKinsey die uns im Dekanatsbezirk München 1995 auf diese Missstände aufmerksam gemacht haben. Sie boten eine unentgeltliche Analyse und Beratung mit dem Ziel, die evangelische Kirche in München für anstehende Herausforderungen zukunftsfähig zu machen. Das Ergebnis der aufwendigen Untersuchung lautete: Die Kirche hat ein Problem mit dem Glauben. Dieses Thema muss neu in den Mittelpunkt ihres Handelns gerückt werden.
Daraufhin wurden viele Verbesserungsvorschläge ausgearbeitet und manche davon auch umgesetzt. So gibt es zum Beispiel seitdem stellvertretende Dekaninnen und Dekane. Ich selbst habe damals mit einem kleinen Mitarbeiterstab eine Geschäftsstelle aufgebaut, die die Vorschläge des „evangelischen Münchenprogramms“ in die Praxis umsetzen sollte. Die Zusammenarbeit mit einzelnen Gemeinden führte zu erfreulichen Ergebnissen. Andere Gemeinden blockierten. Die Kirchenleitung selbst verlor zunehmend das Interesse an diesem Programm. Es hätte vor allem den Dekanen zu viel Veränderung abverlangt. Ich selbst war wohl zu ungeduldig und machte vermutlich zu viel Druck. So wurde das München-Programm wieder sang- und klanglos eingestellt. Immerhin konnten meine Frau und ich wichtige Teile davon in unseren Gemeinden umsetzten. Der größte Fehler des Münchenprogramms war, dass die Veränderung von der Kirchenspitze aus gehen und gemanaged werden sollte so wie eben Veränderungsprozesse in der Wirtschaft funktionieren. Doch das ist ein Irrtum. Meine Erfahrungen in der Landes- und EKD-Synode sprechen dagegen.

Kirchensteuer-Flut
Unser größtes Problem als Kirche ist das viele Geld. 2014 wurde so viel Kirchensteuer eingenommen wie nie zuvor, etwas über fünf Milliarden Euro in Deutschland. Gleichzeitig haben 2014 so viele Menschen die evangelische Kirche verlassen wie nie zuvor. Allein in Bayern waren es 2014 etwa 30.000 Evangelische.
Eigentlich müssten, angefangen vom Landesbischof über die Synode bis hin zu den Dekanen, Pfarrern und Kirchenvorständen überall die Alarmglocken schrillen. Doch man hört höchstens ein leises Bimmeln, weil das viele Geld alles erstickt.
Statt sich mit den zentralen Fragen des Glaubens und mit dem brennenden Problem des Mitgliederverlusts zu befassen, wird in der Landessynode viel Zeit und damit auch Geld und Energie verbraucht, um zum Beispiel Regelungen zu schaffen, dass homosexuelle Pfarrerinnen und Pfarrer in einem Pfarrhaus zusammenleben können.

Das Bad des Dagobert Duck
Mit dem vielen Steuergeld, in dem unsere Kirche badet wie Dagobert Duck in seinem Geldspeicher, kann man viele Leute anstellen, Häuser bauen, kaufen und renovieren, neue Sonderpfarrstellen schaffen, Projekte finanzieren, Agenden drucken, Dienstwagen fahren und die Gräber der Propheten tünchen.
Kindergärten und soziale Einrichtungen werden damit nur zu einem geringen Teil finanziert. Das Geld dafür kommt vom Staat und damit von allen Steuerzahlern ob sie nun Mitglied der Kirche sind oder nicht. Auch für die Restaurierung unserer Orgel in Thann bekommen wir von der Landeskirche keinen müden Cent.
Aber mit dem Geld kann man einen riesigen Kirchenapparat unterhalten, der sich seiner Bedeutung ständig selbst versichert und über den Ortsgemeinden schwebt. Zusätzlich  lähmt das Geld jeden Veränderungsimpuls, weil ja für schöne Fassaden immer genug da ist. Bin ich ungerecht? Ja!

Was hat das Ganze mit Jesus zu tun?
Nur, so frage ich, was hat das Ganze noch mit Jesus zu tun, jenem armen Wanderlehrer, der im Gestank eines Viehstalls zur Welt kam, ohne jeglichen Besitz lebte, seine Jünger ohne Geldbeutel aussandte und schließlich auf Betreiben der Bischöfe, Theologieprofessoren, Dekane und Pfarrer seiner Zeit am Kreuz hingerichtet wurde?
Niemand verlangt, dass alle, die von der Kirche leben, sofort am Bettelstab gehen sollen. Worum es geht, ist die große Umorientierung hin zu mehr Selbstverantwortung der Gemeindeglieder im Sinn des protestantischen ‚Priestertums aller Gläubigen‘  weg vom Tanz ums goldene Kirchensteuer-Kalb, hin zu den Menschen und ihren Seelen und zum wichtigsten Gebot: Gott und die Mitmenschen zu lieben wie sich selbst. Diese Umorientierung aber kommt nicht von oben. Sie muss aus den Gemeinden, sie muss von den Gläubigen selbst kommen.

Fröhlicher Partisan
Wenn ich die Zeit meines Studiums hinzurechne, waren es 45 interessante, aufregende und trotz mancher Enttäuschungen doch auch erfüllte Jahre. Ich habe gekämpft, habe ausgeteilt und musste einstecken. Habe mich geirrt und dazugelernt. Bin schuldig geworden und habe Vergebung erfahren. Habe gelitten und wurde geheilt. Wurde gehasst und geliebt. Ich war Pfarrer aus Leidenschaft.
Und ich weiß, dass ich meiner evangelisch-lutherischen Landeskirche viel zu verdanken habe. Deshalb verdamme ich sie nicht trotz aller Schwächen und Missstände. Aber damit meine Kirche dem Auftrag ihres Herrn wieder gerecht wird, darf sie nicht bleiben wie sie ist, sondern muss sich grundlegend ändern. Von sich aus hat sie vermutlich nicht die Kraft dazu. Aber es werden auch andere Zeiten kommen, in denen ihr nichts mehr anderes übrig bleibt.


Bis dahin macht meine Frau mit den Kirchenvorständen unbeirrt weiter, eine an Jesus orientierte, menschenfreundliche Gemeinde zu bauen. Bis dahin ziehe ich meine Straße weiter als »Fröhlicher Partisan des lieben Gottes« (Karl Barth) solange es ihm gefällt.

Freitag, 24. Oktober 2014

Plädoyer für eine ehrliche Kirche

von Fritz Schwarz und Christian A. Schwarz

Die Aufgabe der Kirche für die Ekklesia 1. Der Illusionismus der Kirche

(61) Verheißungen des Neuen Testaments gelten nicht der Kirche, sondern der Ekklesia.

Der Illusion des muss der Kirche beginnt schon da, wo sie für sich Verheißungen des Neuen Testaments in Anspruch nimmt, die nicht ihr, sondern der Ekklesia gelten. Diese Verwechslung der Ebenen könnte an mannigfachen Beispielen dargestellt werden. Wohin diese Reklamierung Neutestamentliche Verheißungen für die Kirche in der Praxis führen kann, soll nur an einem Beispiel verdeutlicht werden, dass wir das Verhältnis von Kirche und Ekklesia grundlegende Bedeutung hat.
Unter der bezeichnenden Überschrift „Die Siegesgewissheit der Kirche” schreibt Walter Kreck über die Kirche: „Ihrer Niedrigkeit und Hilflosigkeit, die sie in dieser Welt allzu oft ohnmächtig erscheinen lässt, steht die Verheißung entgegen, die in dieser Welt keiner anderen Größe im Neuen Testament zugesprochen wird: dass die Pforten der „Hölle” sie nicht überwältigen werden, so dass es mit Recht von ihr heißt, sie werde beständig bleiben (perpetua mansura).“
Auf diesem Hintergrund ist es dann völlig konsequent, wenn der theologische Ausschuss der evangelischen Kirche der Union in Auseinandersetzung mit der dritten Barmer These formuliert: „die Kirche steht nicht unter dem Gesetz der Selbstverwirklichung, als habe sie zu tun, was allein ihr Herr tun kann und tut: das Gründen und Erhalten seiner Kirche. Die Angst um ihre Existenz, die Sorge um ihre Zukunft kann grundsätzlich nicht ihr Thema sein.”
Aber nun hat doch die Kirche ganz offensichtlich Angst um ihre Existenz und sorgt sich um ihre Zukunft. Wie sehr das grundsätzliche Thema ist, zeigt die Diskussion um die Kirchenstabilisierung in Eindeutigkeit. Es drängt sich also die Frage auf: Darf sich die Kirche nun um ihre Stabilisierung kümmern oder nicht?
Die Beantwortung dieser Frage hängt einzig und allein davon ab, ob man die Volkskirche unter zweckrationalen Gesichtspunkten für erhaltenswert hält oder nicht. Wenn man der Meinung ist, dass sie es nicht wert ist, erhalten zu werden, braucht man sich selbstverständlich auch nicht um ihre Erhaltung zu kümmern. Wenn man sie allerdings für erhaltenswert hält, dann sollte man auch mutig und offensiv für ihre Erhaltung sorgen. Aber wie man auch immer diese Frage beantworten mag: deutlich ist, dass die Verheißungen des neuen Testamentes überhaupt nichts mit dem Problem der Kirchenstabilisierung zu tun haben. Der Herr hat den volkskirchlichen Apparat nicht gegründet und auch nicht zugesagt, dass er ihn erhalten wird. Wollen wir diese Kirche erhalten, so muss das schon unser Thema sein.
Tatsächlich aber wird die Frage nach der Kirchenstabilisierung erstaunlich halbherzig angegangen. Von den klaren Programmen, wie man auf breiter Ebene diese Situation zu bewältigen denkt, vermag man weit und breit nichts zu entdecken. Auch wenn wir uns dagegen gewehrt haben, solche Programme zur Kirchenstabilisierung mit Gemeindeaufbau zu verwechseln, wäre doch prinzipiell gegen sie gar nichts einzuwenden, wenn sie nur engagiert betrieben würden. Wenn man die Volkskirche wirklich für erhaltenswert hält, dann hätten doch Pfarrer und kirchliche Mitarbeiter längst motiviert und angeleitet werden müssen, die anstehenden Aufgaben in Entschlossenheit anzupacken.
Aber noch nicht einmal dazu scheint die Kirche wirklich bereit und fähig zu sein. Das mag nicht zuletzt auch daran liegen, dass sich hier zwar einerseits ein echtes Problembewusstsein hat, andererseits sich aber in die Illusion flüchtet, dass die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden. Indem man die Verheißung des Perpetua Mansura auf die Kirche bezieht, führt das zu dem paradoxen Tatbestand, dass man zwar den Wert der Volkskirche lautstark beschwört, aber nicht ernstlich und engagiert für ihre Erhaltung arbeitet. Indem man die Erhaltung der Volkskirche an den „Herren der Kirche” abschiebt, schiebt man ihm eine Aufgabe zu, für die nun wirklich nicht sein Herz schlägt. Der Herr hat nicht die Erhaltung der Kircheninstitutionen zugesagt; seine Verheißung gilt vielmehr der Ekklesia. Indem die Kirche entschlossen daran arbeitet, dass in ihr Ekklesia Ereignis wird, werden zwar nicht ihre eigenen existenzsorgen gegenstandslos. Sie kann aber wissen, dass sie mit einer solchen Arbeit teilhat an einem Werk, dem die göttliche Verheißung des Perpetua Mansura war in der Tat gilt.
(62) Kirche kann niemals Ekklesia werden.
Ziel des Gemeindeaufbaus ist es, das möglichst viele Menschen in der Kirche Glieder der Ekklesia werden. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass sich dadurch die Kircheninstitutionen in Ekklesia verwandeln würde. Ekklesia lebt immer in einem institutionellen Rahmen, der niemals mit dir selbst identifiziert werden darf. Deshalb ist es weder möglich, noch könnte es irgendwie als erstrebenswert erscheinen, dass aus der Kircheninstitutionen Ekklesia wird. Die Frage nach der „Erneuerung der Kirche”, sofern sie diese Vorstellung impliziert, ist deshalb falsch gestellt. Mit einer solchen Forderung wird man letztlich wieder dem Wesen der Institution noch dem Wesen der Ekklesia gerecht. Die Institution gebärdet sich mit ihrem Recht und ihren Ordnungen gerne theologisch und geistlich, um auch auf diesem Weg den Eindruck zu erwecken, als sei sie Ekklesia. Ungeheuer viel theologische Arbeit ist darein investiert worden, über die Begründungen des Kirchenrechts diesen Beweis anzutreten. Wer weiß, dass die Kirche nicht Ekklesia ist und es auch niemals werden kann, wird radikal Abschied nehmen von einer Theologie, die die Begründungen von Kirchenrecht und Ordnungen geistlich klingen lässt, während das geistliche Leben ausfallen kann.
Die Kircheninstitution bedarf keiner anderen Begründung als allein der, dass sie dem Werden von Ekklesia zu dienen hat. Kirchliches Recht und Ordnungen bedürfen keiner anderen Begründung als allein der, dass sie für diesen Zweck nützlich sind. Kirchliche Ämter bedürfen keiner anderen Begründung als allein der, dass sie dem Gemeindeaufbau dienen. Die konsequente Unterscheidung von Institution und Ekklesia gibt die Institution mit ihrem Recht, ihren Ordnungen und Ämtern gerade nicht der Eigengesetzlichkeit preis, sondern setzt sie unter allerhöchste geistliche Ansprüche. Begründet man dagegen ihre Daseinsberechtigung nicht von dieser Funktion her, dann besteht allerdings die Gefahr, dass Recht, Ordnungen und Ämter der Kirche hinter der Fassade „theologischer” Begründungen umso unhinterfragbarer ihre Eigengesetzlichkeiten entfalten. Man darf sie dann nicht mehr allein unter dem Aspekt ihrer Nützlichkeit betrachten, kritisieren und strukturieren, sondern ihr bloßes Vorhandensein ist letztlich – weil sie von Christus so eingesetzt sind – jenseits aller Nützlichkeitserwägungen ein Zeichen des Gehorsams dem „Herrn der Kirche” gegenüber. Dabei muss betont werden, dass die Begründung von Recht, Ordnung und Amt unter dem Aspekt ihrer Nützlichkeit für den Gemeindeaufbau alles andere als eine „pragmatische” im Gegensatz zu einer „theologischen” Begründung ist; sie ist die einzig tragfähige theologische Begründung. Die Unterscheidung von Kirche und Ekklesia führt keinesfalls zu einer „Rechtsfeindlichkeit”, die sich immer verheerend ausgewirkt hat, sondern gibt einen eindeutigen, sehr theologischen Maßstab an, an dem alles Kirchenrecht zu messen ist.
Wenn wir die Kirche in ihrer gesamten institutionellen Erscheinung theologisch allein von ihrer Aufgabenstellung her begründen, dem Werden von Ekklesia zu dienen, dann kann nicht übersehen werden, dass sie diese Aufgabe weit gehend nicht erfüllt. Wie aber sind dann ihr Recht, Ihre Ordnungen und Ämter zu begründen? Anstatt jetzt abenteuerliche Selbstrechtfertigungs-Theologien zu basteln, sollte sich die Einsicht durchsetzen, dass sie sich unter Ausklammerung des Gemeindeaufbaus theologisch überhaupt nicht begründen lassen. Dennoch ist es keine schwierige Frage, wie es zu Kirchen- Und Verwaltungsordnungen, zu den vor- und nachgeordneten Ämtern der Kirche kommt: Die Faktizität des Vorhandenseins der Institution ist bereits hinreichende Begründung.
Natürlich kann dieses positivistische Rechtsdenken eine Institution nicht genügen, die von dem Anspruch ausgeht, Gemeinde Jesu Christi zu sein. Da man auf diesen Anspruch nicht verzichten will, muss notwendigerweise Recht und Ordnung anders begründet werden. Theologisch begründet werden sie aber keineswegs unter dem Aspekt ihrer Nützlichkeit für das Werden von Ekklesia, sondern man lässt sie im „Liebes- und Rechtswillen Gottes” wurzeln und charakterisiert sie so als „ aus dem Gottesdienst erwachsende Ordnung“, als „bekennende Ordnung“, als „ökumenische Ordnung“ und als „diakonische Ordnung“, auch wenn das in einem noch so krassen Missverhältnis zu der kirchlichen Realität stehen mag.
Es stimmt einfach nicht, dass der Gottesdienst „Quellort der Ordnung und des Rechts in der Kirche” ist. Wieder kann schon ein flüchtiger Blick in die Kirchengeschichte davon überzeugen, dass es zu allen Zeiten aus den verschiedensten Quellen gesprüht hat, wenn es um Recht und Ordnung ging, nicht aber aus dem Gottesdienst. Es ist uns auch nicht vorstellbar, wie das technisch möglich sein sollte; es sei denn, man meint mit dem Gottesdienst als Quellort lediglich eine wohlklingende, aber inhaltslose Phrase, die man allzu wörtlich nicht nehmen darf.

3. Plädoyer für eine ehrliche Kirche

Wir haben viel über die Kirche gesprochen. Ist aber die Gefahr nicht immer, dass sich niemand wirklich angesprochen fühlt und die Aussagen deshalb wirkungslos bleiben, wenn man über jemanden spricht? Muss man nicht jemand direkt anlegen, wenn man etwas von ihm will? Aber das ist ja gerade das Dilemma bei der Kirche: Sie ist kein jemand, sondern eine Institution. Wie soll man eine Institution anreden, die wieder Uhren noch ein Herz hat? Wenn die Kirche als Institution auch wieder Uhren noch Herz hat, so hat sie doch auf jeden Fall Funktionäre, die diese Institution gestalten und die Weichen für die Zukunft stellen. Und diese Funktionäre haben Ohren und Herzen, die geht, wenn sie nicht verschlossen oder verstockt sind – sehr wohl angesprochen werden können. Wenigstens an eine Stelle unsere Arbeit möchten wir die Kirche direkt anlegen, damit wir nicht ständig nur über sie sprechen müssen. Eine – wenn auch nur fiktive – Anrede der Kirche vermag vielleicht mehr zu verdeutlichen als alle Aussagen über sie.

Die Kirche darf nicht so tun, als garantierte Kirchenmitgliedschaft die Gliedschaft am Leib Jesu Christi.
Kirche, manchmal wünscht man sich, dass man dir direkt gegenüberstehen könnte, um ganz persönlich mit dir zu reden. Weißt du, was wir dich dann fragen würden? Wir würden dich fragen, ob du dich wirklich selbst für den Leib Christi hältst. Was dabei dann aus seinem Mund als Antwort kommen würde, wäre uns gar nicht so interessant. Du wirst dir eine Antwort auf diese Frage schon reiflich überlegt haben nicht was du sagst, wäre uns wichtig, sondern wie du es sagst, ob mit kräftiger, mutige Stimme oder kleinlaut, verschüchtert, als ob du etwas von dir geben müsstest, was du selbst nicht so recht glauben kannst. Könntest du wirklich auf diese Frage mit einem klaren, eindeutigen Ja antworten? Könntest du wirklich ja dazu sagen, ohne dabei rot zu werden? Wir würden dir bei deiner Antwort zu gern ins Gesicht ziehen, deine Mimik beobachten, deine Gestik, das Spiel deine Hände. Schade, Kirche, dass es zu einer solchen Begegnung nie kommen kann.
Mit differenziert du auch immer auf eine solche Frage antworten würdest, faktisch hast du immer so getan, als wärest du der Leib Christi. Weilte das als Institution aber gerade nicht sein kannst, hast du dich über Jahrhunderte wie eine Heilsanstalt aufgespielt, die das ewige Heil ihrer Mitglieder zu garantieren vermag. Jetzt sage nicht, das sei rein katholisches Denken! Wenn du dich unter seinen Mitgliedern und funktionieren umhören würdest, dann würdest du merken, wie stark dieses Denken auch mitten im Protestantismus bis in die heutige Zeit verwurzelt ist.

Nach einem offenen Abend komme ich mit einem Menschen ins Gespräch. Erscheint die Spitze des Abends richtig verstanden zu haben und vom Evangelium beunruhigt worden zu sein. „Wenn ich Sie richtig verstanden habe”, sagte er, „dann heißt das, dass ich gar kein Christ bin, obwohl ich der Kirche angehörte.” Ich möchte gerade diesen Faden aufgreifen, um mit diesen Menschen Überlebens veränderte Perspektiven des Glaubens zu sprechen, dann müssen sich andere in das Gespräch ein. „Natürlich sind sie Christ. So dürfen Sie den Abend und auch nicht wieder verstehen. Wenn Sie kein Christ sind, werden dann? Wo kämen wir hin, wenn wir uns untereinander das Christsein absprechen wollten!”

Ein Pfarrer beginnt in seiner Parochie mit dem Gemeindeaufbau und spricht Menschen ganz konkret auf Ihren persönlichen Glauben an. Eine ältere Bezirksfrau, die seit ihrer Jugend in Treue in der Kirche ihren Dienst tut, entrüstet sich: „was wollen Sie eigentlich, Herr Pfarrer? Unser alter Pfarrer hat immer gesagt: wenn du getauft bist und der Kirche angehörst, dann bist du Christ. Haben Sie etwa ein anderes Evangelium?”
Woran liegt es, dass kirchliche Menschen oft die ersten sind, die der Evangelisation und damit dem Gemeindeaufbau im Wege stehen?
Kirche, wie kommt es denn, dass dich viele Mitglieder immer noch wie eine Heilsanstalt betrachten? Haben sie sich das in stillen Stunden selber ausgedacht? Fühlst du dich von dieser Beurteilung vieler deiner Mitglieder zutiefst missverstanden? Jetzt lass mal uns ganz offen und ehrlich miteinander reden: du hast doch selbst dieses Denken erfunden und es deinen Mitgliedern solange ein geimpft, wie sie es glaubten. Über Jahrhunderte hinweg hast du ja auch ganz gut dabei existiert, weil man dir dein Selbstverständnis als Heilsanstalt unhinterfragt abgenommen hat. Du, heute sind da die Leute schon kritischer. Die lassen sich nicht mehr so leicht an der Nase herumführen. Die wollen wissen, was sie von ihrer Kirchenmitgliedschaft haben. Die meisten können einfach nicht mehr glauben, dass eine Mitgliedschaft in dir auch nur irgendetwas mit ihrem zeitlichen und ewigen Heil zu tun haben könnte. Ist es nicht schön, Kirche, dass die Leute endlich so fragen?
Wenn aber nicht die Kirchenmitgliedschaft zeitliches und ewiges Heil gewährleistet, sondern nur die Gliedschaft am Leib Jesu Christi – weißt du, Kirche, was du dann jahrhundertelang angerichtet hast, indem du dich wie eine Heilsanstalt aufgespielt hast? Du hast die Menschen um das Beste von vornherein betrogen. Wie viele Menschen, die dir deine Parolen abgenommen haben, haben dadurch niemals einen Zugang zum lebendigen Glauben an Jesus Christus gefunden! Wie viele von ihnen, die allesamt Kandidaten des ewigen Lebens sind, von Gott geliebte Menschen, wären gerne Glieder am Leib Jesu Christi geworden, wenn du ihnen nicht eingeredet hättest, dass Kirchenmitgliedschaft schon Gliedschaft am Leib Christi wäre!

Jetzt nimmer davon geredet, dass du dich jahrhundertelang in dieser Weise verhalten hast. Dahinter steckt, dass wir es uns einfach nicht vorstellen können, dass du dich auch heute noch als Heilsanstalt verstehen könntest. Wenn man dich so fragte, dann würdest du das auch ganz bestimmt entschieden verneinen. Kein Theologe – zumindest kein protestantischer – würde ernstlich an einer solchen irrigen Lehre festhalten wollen. Aber dann erschreckt es doch, wie – trotz der Eindeutigkeit der theologischen Erkenntnisse – eine Praxis nach wie vor Heilsanstalt Licht geprägt ist Kirche, warum wird eigentlich Theologie getrieben, wenn du deine Praxis doch nicht von ihr bestimmen lässt? Ist es vielleicht der bloße Eigennutz, der dich auch in der Gegenwart noch wie eine Heilsanstalt amtieren lässt? Glaubst du vielleicht, was jahrhundertelang für dich so vortrefflichen Zenit hat, müsste auch heute noch funktionieren?
Du hast dir wirklich gefährlichen Mechanismen entwickelt, um dich als Kirche unentbehrlich zu machen. Man kann dir sicherlich viel vorwerfen, aber bestimmt nicht, dass deine jahrhundertelangen Strategien ohne eine gehörige Portion Cleverness und Raffinement gewesen sind. Wie kam dir doch der Aberglaube der Menschen gelegen, und wie hast du ihn dir auf breiter Ebene zu Nutze gemacht! Wie du dich über die Erfindung des „Amtes” unentbehrlich gemacht hast! Ein ordinierter Priester muss die Sakramente zelebrieren, wenn sie gültig sein sollen – raffiniert gedacht! Du wusstest doch genau, dass das den religiösen Bedürfnissen vieler Menschen nur zu sehr entgegenkommt. Du hast die Menschen ruhig in ihrem alten Leben weiterleben lassen und ihnen über die Berufung auf die Rechtfertigung des Senders dabei noch ein gutes Gewissen gemacht, solange sie dich nicht hinterfragt. Menschen konnten ihr Leben lang an Christus vorbei leben; ihr Glaube war durch ihre Kirchenmitgliedschaft und hinterfragt wahr geworden. Und du stelltest dich immer „schützend” vor diese Kirchenmitglieder, wenn es jemand wagte, deren Glauben zu hinterfragen. Der Hintergrund dieser deiner Solidarität ist nur allzu verständlich. Das Motto hieß doch jahrhundertelang: ich garantiere euch das Christsein und lasse euch ansonsten in Ruhe, wenn ihr mich als Kirche in Ruhe lasst. Gar nicht schlecht gedacht, Kirche, dieser Pakt mit den Bedürfnissen der Menschen, ihr altes Leben mit einer religiösen Verzierungen versehen zu lassen. Wenn auch in den Konsequenzen verheerend, aber dumm ist diese Konzeption wahrlich nicht. Aber jetzt musst du entschuldigen, Kirche, vielleicht waren diese Worte doch ein wenig zu hart. Vielleicht hast du ja gar nicht immer so berechnend und kaltblütig agiert, wie es in außenstehende Betrachter meinen könnte. Vielleicht hast du ja das alles in gutem Glauben getan. Vielleicht hast du gar nicht den Aberglauben für dich ausnutzen wollen, sondern warst selbst dem Aberglauben aufgesessen. Entschuldige, Kirche, wenn das der Fall sein sollte, dann waren unsere Worte wirklich unangemessen hart.
Du merkst doch heute selbst, dass das, worauf du lange wie selbstverständlich bauen konntest, zunehmend weniger trägt. Wenn nimmt dir denn heute noch deine „theologischen” Legitimierungsversuche ab? Wenn man die Begründungen deine Ämter zur Kenntnis nimmt, dann bleiben einem nur zwei Möglichkeiten: Entweder kann man vor Ehrfurcht erschauern – und das haben jahrhundertelang die Menschen getan –, oder man kann laut auslachen. Willst du es den Menschen unserer Zeit ernstlich verübeln, dass sie sich zunehmend für das Lachen entscheiden? Viele bleiben wir lachend Index bilden lachend aus. Kirche, du hättest schon viel verstanden, wenn du zumindest mit diesen Menschen gemeinsam lachen würdest.
Sie doch ein, Kirche, dass sich die Zeiten geändert haben, dass du keine Chancen hast, wenn du auch heute noch die Heilsanstalt spielen wolltest. Wenn du heute wieder verstärkt auf die Amtshandlungen setzt, dann geht es doch im Kern lediglich um eine Renaissance dieses jahrhundertealten Aberglaubens. Die Leute wollen von dir, zumal an den Schnittpunkten ihres Lebens, ihr Christsein bestätigt haben, und du spielst gern mit, weil die Lieder von etwas verspritzt. Als ob eine solche Strategie Zukunft hätte! Kirche, das ist ein längst verlorenes Gefecht! Du doch wenigstens in Zukunft nicht mehr so, als ob die Mitgliedschaft in dir und die Absolvierung des religiösen Service irgendetwas mit dem Heiligen Christus zu tun hätte. Ja, Kirche, wir wissen auch, dass das immer noch viele deiner Mitglieder allen ernstes glauben und nur deshalb in der Kirche bleiben. Und du weißt das auch nur zu gut. Du wirst ja auch die Erhebungen zur Kenntnis genommen haben, die die gezeigt haben, dass viele nur in der Kirche bleiben, weil sie durch die kirchliche Beerdigung ihre Chancen auf ein weiterleben nach dem Tod erhöhte sehen. Welch ein abgrundtiefe Aberglaube! Stell dir das mal vor, Kirche: da gibt es immer noch Menschen, die glauben, indem sie sich kirchlich bestatten lassen, würde der Herr gnädiger auf sich ziehen. Erschreckt es sich eigentlich nicht, dass so etwas noch mitten im 20. Jahrhundert möglich ist?
Manchmal kann man ja fast den Eindruck kriegen, als wolltest du gerade auf diesen Aberglauben bauen, anstatt ihn entschlossen zu bekämpfen. Aber, Kirche, sag uns doch, dass dieser Eindruck trügt, dass wir Dichter gründlich missverstanden haben. Bau doch nicht länger auf Strategien, die im Mittelalter noch angehen konnten, weil da der Aberglaube religiöses Gemeingut war. Bau doch nicht länger auf den Aberglauben! Er gehört der Alten Welt an, die vergehen wird. Aber doch endlich auf die Leute, die Christus nachfolgen wollen! Fördere sie, unterstütze sie, hilft Ihnen zu qualitativen und quantitativen Wachstum!
Wir wissen nicht, ob du deine Stellung als Volkskirche noch lange wirst halten können, oder ob du nicht schon bald zu einer Minderheitenkirche werden wirst. Wir wissen nur eins: je mehr du weiterhin auf den Aberglauben setzt, desto schneller wirst du dich mit Sicherheit in eine Minderheitenkirche verwandeln. Der Grund ist doch klar: die Zahl der Menschen, die dich auch weiterhin noch als Heilsanstalt zu akzeptieren bereit sind, ist bald nur noch eine verschwindend kleine Minderheit. Gott sei Dank! Welcher Teufel reitet sich eigentlich, dass du genau darauf setzen willst? Je mehr du dich auf den Glauben einliest, desto mehr wirst du auch teilhaben an seinem Wachstum. Während der Aberglaube zum Untergang verteilt verurteilt ist, ist der Gemeinde Jesu Christi der Sieg zugesagt.
(68) die Kirche muss ihre Mitgliedern deutlich machen, was sie Ihnen zu bieten hat.
Haben wir mit unseren Worten etwas schlimmes angerichtet? Wir wissen doch, wie man im allgemeinen auf solche Sätze reagieren wird: das sei furchtbar lieblos von uns, so mit dir zu reden. So könnte man doch nicht der Kirche kommen! Man wird in unseren Worten die Liebe zu dir vermissen.

Als Gustav Heinemann einmal gefragt wurde, ob er den Staat Liebe, soll er geantwortet haben: „ich liebe meine Frau”. Das war eine gute Antwort. So leid es uns tut, Kirche, wir können dich einfach nicht lieben, auch wenn wir es wollten. Du bist eine Institution. Wie sollte man eine Institution lieben? Wenn wir jetzt so tun, als könnte man mit dir sprechen, dann kann das ja den Eindruck erwecken, als seist du so etwas wie eine Person. Aber unser Gespräch ist ja nur fiktiv. Mit dir, der Institution, kann man ebenso wenig reden, wie man dich lieben kann. Das spricht übrigens überhaupt nicht gegen dich, denn als Institution bist du überhaupt nicht dazu da, geliebt zu werden.
Aber wenn wir auch dich, die Institution, nicht lieben können, so lieben wir doch mit ganzer Leidenschaft die Schwestern und Brüder. Und wenn wir mit dir bisweilen sehr hart reden müssen, dann doch nur deshalb, weil wir die Schwestern und Brüder lieben und weil wir von ganzem Herzen wünschen, dass diese Liebe in dir, der Institution, immer mehr zum Zuge kommt. Deshalb können wir uns unmöglich damit abfinden, wenn in dir immer noch heilsanstaltliche Züge vorhanden sind. Eine Heilsanstalt, das haben die letzten Jahrhunderte eindeutig gezeigt, tötet geradezu den Glauben und damit auch die Liebe, die aus ihm erwächst.

Aber wenn du nicht mehr Heilsanstalt spielen darfst, was bleibt dir dann überhaupt noch? Hast du dich nicht so sehr auf dieses Denken eingelassen, dass du glaubst, es dir gar nicht leisten zu können, wirklich ehrlich zu sein? Du, das wäre ein großer Irrtum! Du hast es gar nicht nötig, die Heilsanstalt zu spielen. Du hast genug zu bieten, dass du es wagen könntest, deinen Mitgliedern ehrlich gegenüber zu treten.

Solange du auf deine eigene Stabilität als das höchste Gut fixiert bleiben willst, kannst du nur noch alles falsch machen. Die einen treten aus der Kirche aus, weil du zu politisch bist. Hältst du dich aber in politischen Fragen aus Sorge um deine Stabilität diplomatisch zurück, sind die anderen verärgerten Kehlen die den Rücken. Sagst du, dass beide Positionen Ihr Recht haben, um damit beide Gruppen für dich zu gewinnen, dann wird die mit Recht entgegengehalten, dass das doch gar nicht geht. Stimmt. Stimmst du auch in dieser Position zu, wird man dich wahrscheinlich für verrückt halten. Äußerst du gar nicht mehr, um ja nichts falsch zu machen, dann machen wir die anderen wiederum dein Schweigen zum Vorwurf. Wie willst du mit dieser Taktik deine Stabilität bewahren? Es ist doch ganz zwangsläufig, dass du, wenn du es allen recht machen willst, vor jedem Schritt panische Angst haben muss. Das aber wird sich mit Sicherheit daran hindern, überhaupt noch mutige Schritte zu tun, die dich allein aus dieser verzweifelten Situation befreien können.
Auf diese Weise, Kirche, verspielst du doch gerade deine Attraktivität! Wenn du so auftrittst, kannst du dich doch zunehmend nur noch lächerlich machen, um ein Selbsttor nach dem anderen zu schießen! Es sind dich doch auf das, was du wirklich zu bieten hast!

Du bist Trägerin einer starken Diakonie in unserem Land. In Caritas und Diakonie wirken insgesamt fast eine halbe Million Mitarbeiter, davon allein im diakonischen Werk mehr als 200.000 hauptamtliche. Immer noch sind deine Kirchengemeinden mit ihren Gottesdiensten, mit ihren Gruppen und Vereinen, mit ihrer Jugendarbeit und ihren Seniorenclubs, mit ihren Freizeitprogrammen und ihre Bildungsarbeit der Boden, auf dem ein gutes Stück Sozialisation und Vermittlung von ethischem Bewusstsein geschieht. Dabei darf nicht übersehen werden, dass 100 tausende von ehrenamtlichen Mitarbeitern unentgeltlich anderen Menschen ihre Kräfte zur Verfügung stellen. Mit diesen und vielen anderen Tätigkeiten erfüllst du Aufgaben von höchster gesellschaftlicher Relevanz. Du kannst ruhig deine Mitglieder fragen, ob sie bereit sind, auf alles Taste verzichten. Würden alle diese Einrichtungen irgendwann einmal ersatzlos gestrichen, dann sehe es in unserem Land mit einem Mal sehr viel düsterer aus. Es müsste umgehend Ersatz geschaffen werden, und es würde sich herausstellen, dass es gar nicht so leicht möglich ist, angemessenen Ersatz für deine Aktivitäten zu finden. Was auf deinem Boden organisch gewachsen ist, wer auf dem Boden andere Institutionen ein künstliches Gebilde. Und es würde dem einzelnen Bürger mit Sicherheit bei weitem teurer kommen als seine Kirchenmitgliedschaft. Der angebliche Spareffekt eines Kirchenaustritts kann sich einmal als ein ganz gefährlicher Bumerang herausstellen. Würdest du als Trägerin von Erziehung, Diakonie und Bildung eines Tages völlig ausgeschaltet, so würde damit dem Staat ein beängstigendes Monopol eingeräumt, das weder ihm noch seinen Bürgern gut bekäme.
Du bist eine Institution, auf die wir in unserem Land nur schwer verzichten können. Du solltest dir viel Mühe geben, deinen austrittswilligen Mitgliedern klarzumachen: wenn sie auf dich als wichtigen Bestandteil unseres gesellschaftlichen Systems verzichten wollen, dann sollten sie sich auch über die Konsequenzen klar sein. Wenn sie nicht auf deine Arbeit verzichten wollen, dann sollten sie auch gefälligst Mitglieder bleiben. Aber bitte, Kirche, gewöhne dir doch endlich ab, so zu tun, als hätte diese Frage irgendetwas mit dem Heil deiner Mitglieder zu tun.
Auf diese Weise könntest du schon heute deinen Mitgliedern ehrlich gegenübertreten, ohne auf die heilsanstaltliche Argumentationskrücke auch nur irgendwie angewiesen zu sein. Die Funktionen, die du heute in unserer Gesellschaft erfüllst, könnten schon Grund genug sein, Kirchenmitglied zu bleiben. Aber vielleicht befürchtest du, diese Argumente würden das austrittswillige Mitglied letztlich nicht überzeugen. Vielleicht hast du ja recht. Aber du brauchst ja nicht so zu bleiben, wie du bist. Du könntest dich ja auf den Gemeindeaufbau einlassen. Kirche, wenn du dich wirklich konsequent dieser Aufgabe verschreiben würdest, hättest du keinerlei Schwierigkeiten mehr, deinen Wert und auch deine Attraktivität deinen Mitgliedern gegenüber plausibel zu machen.
Wenn du alle Kräfte darauf konzentrieren würdest, das Gemeinde Jesu Christi in dir entsteht, dann brauchtest du dich nicht länger mit theologisch tiefgründigen Dogmen oder auf die aktuelle Situation gemünzten Proklamationen zufrieden zu geben, sondern könntest auf Gemeinschaften des neuen Lebens verweisen, die die christliche Botschaft durch ihr Leben auslegen. Diese Gemeinschaften des neuen Lebens haben ihren tragenden Grund im Glauben an Jesus Christus, der Menschen als Schwestern und Brüder zusammengebracht hat und zusammenhält. Was diese Menschen erfahren haben, erzählen sie weiter. Sie werden regelmäßig die Kirchenmitglieder besuchen, ihnen den Glauben bezeugen und die Liebe nicht schuldig bleiben. Freundschaftliche Kontakte entstehen. Häuser öffnen sich. In Hauskreisen wird über die Frage nach dem Sinn des Lebens gesprochen. In ihnen werden Perspektiven lebensverändernder Möglichkeiten erschlossen. Antworten auf die Frage nach Heilsgewissheit und ewigem Leben können gefunden werden. Hier stellen sich Menschen verbindlich dem brennenden politischen und sozialen Problemen unserer Zeit und laden jeden zur Mitarbeit ein. Durch die Präsenz der Christen gewinnt Kirche etwas Nachbarschaftliches. Sie sind nicht zu schade, andere Menschen zu betreuen, und werden nicht müde, sie zum Glauben und damit zur christlichen Gemeinschaft einzuladen. So könnte endlich wieder das christlich Normale geschehen.
Was hindert dich eigentlich daran, Kirche, dich in deiner Arbeit auf diese Gemeinschaften des neuen Lebens zu konzentrieren? Du könntest dabei überhaupt nicht verlieren, sondern nur noch gewinnen. Lass dich doch konsequent darauf ein! Du, in einer solchen Kirche könnte es richtig Spaß machen, Kirchenmitglied zu sein.

(69) die Kirche muss aufhören, geistliche Aufbrüche zu diskriminieren und Glaubenslosigkeit zum christlich Normalen zu erklären.

Du wirst als Kirche deinen Mitgliedern auf jeden Fall nur dann überzeugend gegenübertreten können, wenn das, was du verkündigst, auch gelebt wird. Deshalb wäre es nur konsequent, wenn du an den Gemeinschaften des neuen Lebens vordringlich interessiert wäre es. Aber von dieser Einsicht scheinst du offensichtlich noch meilenweit entfernt zu sein. D.h. nicht, dass du geistliche Aufbrüche etwa offen bekämpfen würdest. deklamatorisch bekundest du ja immer wieder dein Interesse an Evangelisation, spiritueller Erneuerung, geistlichem Leben und Gemeindeaufbau. Aber deine ganze Tradition steht dir immer wieder dabei im Wege, dich ernstlich darauf einzulassen.

Kirche, was ist nur los mit dir? Glaubenslosigkeit wird von deinen Gremien nicht nennenswert hinterfragt. Wo sich gläubig wird, greifen sie dagegen dämpfend ein. Gebetslieder schockieren niemanden. Wird Gebetsgemeinschaft praktiziert, müssen sich Christen dafür rechtfertigen. Passivität wird fraglos akzeptiert, wenn man auch „aktive Gemeindeglieder” für durchaus wünschenswert hält. Werden jedoch Christen im Sinne des Auftrags des Evangeliums aktiv, dann sind deine Funktionäre oft die ersten, die sich ihrem Engagement entgegenstellen. Kirche, die Verhältnisse könnten sich da ruhig einmal umkehren!

Natürlich ist es nicht schwer, bei aktiven christlichen Gemeinschaften Fehler und Dummheiten zu entdecken, die keineswegs bagatellisiert werden dürfen. Aber muss es denn so sein, dass diese Dummheiten so aufgegriffen werden, um diese Gemeinschaften grundsätzlich infrage zu stellen, während man sich durch stumpfe Gleichgültigkeit in der Paradoxie kaum beruhigen lässt? Fehler kann man immer nur dort machen, wo man sich verbindlich auf eine Sache eingelassen hat.
Wie viel Kraft und Zeit wird doch in der Kirche verpulvert für kleinkarierte Querelen, die daraus resultieren, dass man es nicht ertragen kann, wenn in einer Kirchengemeinde das Leben aufblüht, während eine andere vollkommen lieblos dahinvegetiert. Man wird denen, die sich auf den Gemeindeaufbau eingelassen haben, immer Steine in den Weg legen wollen. Kirche, wir erwarten von dir, dass du dich in diese Querelen auf die richtige Seite stellst. Die brennenden Probleme unserer Welt und der Hunger unserer Zeit nach dem Evangelium warten auf den Dienst der christlichen Gemeinschaften. Werden sie von dir die nötige Rückendeckung bekommen? Kirche, du wirst dringend gebraucht!



Aus „Theologie des Gemeindeaufbaus” von Fritz Schwarz und Christian A. Schwarz. Seite 218 bis Seite 227. Edition Aussaat

Donnerstag, 6. Februar 2014

Wie die Kirche Zukunft hat (M. Herbst)

Vortrag von Prof. Dr. Michael Herbst auf dem Willow-Creek-Leitungskongress am 6.2.2014 in Leipzig

klick: "Wie die Kirche Zukundt hat" (pdf-Dokument)

Montag, 27. Januar 2014

"Weck die tote Christenheit!"

Ein Beitrag aus dem Blog mit der täglichen Losungsauslegung www.glaubenswachstum.blogspot.de

Dienstag, 28. Januar 2014

"Weck die tote Christenheit!"


Losung: Wohl den Menschen, die dich für ihre Stärke halten und von Herzen dir nachwandeln! Psalm 84,6

Lehrtext: Als Jesus nicht mehr fern von dem Haus war, sandte der Hauptmann Freunde zu ihm und ließ ihm sagen: Ach Herr, bemühe dich nicht; ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst; darum habe ich auch mich selbst nicht für würdig geachtet, zu dir zu kommen; sondern sprich ein Wort, so wird mein Knecht gesund. Lukas 7,6-7

Liebe Leserin, lieber Leser,

unsere evangelische Kirche muss sich ändern und zwar grundlegend. Mit ein bisschen Kosmetik ist es nicht getan. In ihrer gegenwärtigen Gestalt und Organisationsform ist sie nicht mehr fähig, den Auftrag Jesu zu erfüllen und eine wachsende Zahl von Menschen für den Glauben zu gewinnen. Mitglieder, Gebäude, Mitarbeiter und Kirchensteuern zu verwalten, - das reicht nicht. Nur mit viel Geld schöne Fassaden zu pflegen und Menschen mit Ritualen zu versorgen, ist für eine evangelische Kirche zu wenig. Sie muss stattdessen alles daran setzen, dass ihre Mitglieder mündige,  selbstverantwortliche, gläubige Christen werden und neue Menschen hinzugewinnen.
Äußerlich sichtbar wird der Niedergang in den seit Jahrzehnten hohen Austrittszahlen, im Kindergottesdienstbereich und in der Tatsache, dass 97 Prozent der Evangelischen am Sonntag keinen Gottesdienst mehr besuchen. Ein Wirtschaftsbetrieb hätte bei einer solchen Bilanz längst Konkurs anmelden müssen. Wenn die Kirchensteuer morgen wegbricht, ist die Kirche auch materiell bankrott und stürzt wie ein Kartenhaus ein. Das wird dann der Offenbarungseid, wie es um den inneren Zustand der Kirche bestellt ist. Aber ein Tiefpunkt kann auch ein Wendepunkt sein mit der Chance für einen Neubeginn.
Ich kenne die wütenden Proteste gegen diesen Befund. Das wundert mich nicht, schließlich geht es um die Substanz, um die Macht, ums Geld und bei den Kirchenbediensteten um die Existenz. Ich weiß auch, dass es (noch) nicht viele sind, die in Deutschland so denken. Sie können  gegen die erdrückende Mehrheit – auch derer, die sich für fromm halten - nur bestehen, wenn sie, wie es die Tageslosung sagt, den Herrn „für ihre Stärke halten“. Wenn sie nicht auf Anerkennung und Wohlwollen derer schielen, die sich im Kirchenbetrieb eingerichtet haben, sich mit bestehenden Macht-Verhältnissen arrangieren und von ihnen profitieren.
Wer möchte, dass sich die Kirche, wie in der Reformationszeit, wieder auf ihren Herrn Jesus Christus und die Bibel besinnt, wieder aus dem Glauben lebt und nicht von der Steuer, darf keine Angst haben, als Fundamentalist denunziert oder als weltfremder Träumer verspottet zu werden. Er muss sich zuallererst vom Wort Gottes herausfordern und seinen eigenen Glauben erneuern lassen. Er muss bereit sein, sich selbst zu ändern, alte Gewohnheiten und Beziehungen aufzugeben und die Wärmestube der Selbstzufriedenen und Selbstgefälligen zu verlassen. Er muss alle Energie und Hilfe, alle Entschiedenheit und allen Trost von Christus erbitten. Denn nur durch sein Wort wird Kirche wieder gesund. Nur im Vertrauen darauf, dass sein Wort wirkt, was es sagt (Lehrtext), hat es Sinn, an der Erneuerung der Kirche zu arbeiten. Und die beginnt nicht „oben“ in der Kirchenleitung, nicht in den Synoden, nicht in den theologischen Fakultäten, sondern „unten“, in den Herzen der Menschen (Losung), die Gemeinde sind.

Gebet: „Weck die tote Christenheit aus dem Schlaf der Sicherheit, dass sie deine Stimme hört, sich zu deinem Wort bekehrt. Erbarm dich Herr!“ Amen (Lied  EG 263 Vers 2)

Herzliche Grüße


Hans Löhr

Montag, 30. Januar 2012

Prof. M. Herbst: Auf Kirchensteuer verzichten

Kirche kann auf Kirchensteuer verzichten

Theologieprofessor Herbst: Für Jesus sind nur Menschen unaufgebbar
Pressemitteilung: Stuttgart (FOKUS/KEP/PRO ) Sowohl die Kirchensteuer als auch eine privilegierte Stellung in der Gesellschaft ist für die Kirche in Deutschland verzichtbar. Das hat Michael Herbst, Professor für Praktische Theologie und Prorektor an der Universität Greifswald, am Freitag auf dem "Willow-Creek"-Leitungskongress in Stuttgart erklärt. Die Kirchensteuer sei nur eine "kalte Steuer": Eine ganze Kirche könne "wie der reiche Jüngling werden", wenn sie sich darauf ausruhe, sagte der Theologe. Gerade Kirchen und Gemeinden, die finanziell besonders gut situiert seien, könnten kaum mehr entscheiden, was wichtig und unwichtig sei, betonte Herbst. Bei der Frage danach, was unaufgebbar sei, sei nicht die Meinung von Menschen wichtig. Vielmehr komme es darauf an, was für Jesus unaufgebbar sei: "Für Jesus bist du unaufgebbar", rief Herbst den 7.500 Zuhörern zu. Schließlich habe Jesus alle Privilegien, die er als Gottes Sohn gehabt habe, aufgegeben und sei für die Menschen gestorben. Alles andere sei für ihn verzichtbar gewesen – nur nicht die Menschen. Das sei der zentrale Inhalt, "mit dem die Kirche steht und fällt", sagte Herbst: "Wenn sie das aufgeben würde, wäre sie keine Kirche mehr." Alle kirchlichen Ämter, Strukturen, Steuern, Gebäude und Zeremonien seien im Vergleich dazu unwichtig. Gemeinden dürften "keinen Menschen aufgeben, der nichts von Jesus gehört hat". Ressourcen sollten konsequent für die Erneuerung von Gemeinde eingesetzt werden, um eine geistliche Erneuerung in Deutschland zu fördern."
Gemeinden sollten jedes Jahr überprüfen, ob ihr Fokus richtig gesetzt sei. Leitungskreise sollten sich fragen: "Was von alledem, was wir heute tun, würden wir nicht wieder beginnen, wenn wir es nicht schon täten", empfahl der Theologe.

Dienstag, 15. Juni 2010

Change - Der Wandel hat begonnen

Amerikanische Mega-Gemeinden und ihr Einfluss auf die evangelischen Kirchen in Deutschland

Der „Wind Of Change“ kommt vom Himmel: Woche für Woche strahlen Satelliten die Gottesdienste amerikanischer Mega-Churches aus. In riesigen Hallen ziehen talentierte Prediger tausende von Gottesdienstgästen in ihren Bann und gleichzeitig Millionen vor den Bildschirmen. YouTube zeigt die Events losgelöst von Raum und Zeit auf Notebooks und SmartPhones. Mega-Gemeinden sprießen wie Pilze aus dem Boden religiöser Sehnsüchte. Traditionelle Gemeinden in den USA melden Konkurs an. Werden diese Großgemeinden auch das kirchliche Leben in Deutschland verändern? Die Frage kommt zu spät. Das ist längst der Fall, nicht nur in den Städten, sondern bereits in traditionellen Gemeinden auf dem Land.
Menschen stimmen in der Regel mit den Füßen ab: Mehrere tausend Jugendliche feiern Woche für Woche in der eher pfingstlichen Hillsong-Church in Sydney und in ihren zahlreichen internationalen Ablegern. 20.000 Gottesdienstbesucher sind es am Wochenende in der Baptistengemeinde Willow Creek in South Barrington bei Chicago. Den Rekord hält Joel Osteen mit fast 50.000 Gottesdienstgästen in seiner Lakewood-Church in Houston, Texas. Neben den Mega-Churches existieren noch zahllose Gemeinden mit hunderten von Gottesdienstbesuchern, die auch in Deutschland gegen den Trend wachsen.
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Traditionelle Gottesdienste im Sinkflug
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Interessant ist die Geschichte des dreiundachtzigjährigen Dr. Robert Harold Schuller und seiner Crystal Cathedral. Er war Vorbild für viele Gründer von Mega-Gemeinden weltweit. In Südkorea hat man sogar den Baustil des architektonischen Meisterwerks der Kristall-"Kathedrale" in Garden Grove bei Los Angeles kopiert. Inzwischen ist Dr. Schullers Konzept etwas aus der Mode gekommen. Die Gottesdienste werden mehr und mehr, was die traditionellen Gottesdienste in Deutschland längst sind: Seniorenangebote.
Gründungspastor Schuller war jahrzehntelang mit dem Konzept erfolgreich, die herkömmlichen Gottesdienste zu hollywoodisieren. Schließlich liegt die Traumfabrik nur wenige Meilen entfernt. Das Kirchengebäude sollte imposanter sein, die Talare opulenter, die Hazle-Wright-Orgel und der Kirchenchor mit dem Hour Of Power Sinfonieorchester gigantischer und die Botschaft emphatischer als in anderen Kirchen in den USA oder gar in Europa. Doch der Zug der Zeit ist für Hour Of Power wohl abgefahren, den weltweit meist gesehenen TV-Gottesdienst der letzten Jahrzehnte. Viele Menschen bis 60 mögen keine Kirchengebäude, Talare, Orgeln, Choräle und Kirchenchöre mehr. Das gilt auch für Deutschland. Sohn Robert Anthony Schuller hatte das gespürt. Er war bereits als Nachfolger seines Vaters inauguriert als es zum Bruch kam. Er verzichtete nicht nur auf den Talar in den Gottesdiensten, er wollte das Gesamtkonzept der Crystal Cathedral modernisieren. Doch Erzvater Robert Harold Schuller wacht über seinem Lebenswerk wie lutherische Bischöfe über ihren traditionellen Landeskirchen. Ohne rechtzeitige Innovation geht es nun auch mit der Kristall-"Kathedrale" bergab.
Nachtrag März 2012:
In ihrer Ausgabe 1/2012 meldet das Magazin "Powerful Life" von Hour Of Power Deutschland: "Am 3. Februar 2012 wurde das Verfahren über den Verkauf der Crystal Cathedral und der umliegenden Gebäude abgeschlossen. Der gesamte Campus der Crystal Cathedral geht dadurch in den Besitz der katholischen Diözese von Orange County über." Noch wird versucht, zu retten was zu retten ist und einen neuen Ort für die „Hour of Power“-Gottesdienste zu finden. Auch die internationalen Fernsehausstrahlungen sollen zunächst weitergehen. Doch mit dem bisherigen Konzept wird es für das beachtliche Lebenswerk von Dr. Robert H. Schuller wohl keine Zukunft geben. Auch unsere Landeskirchen mit ihren traditionellen Kirchengottesdiensten und ihrem volkskirchlichen Verwaltungs- und Versorgungskonzept wären längst bankrott, wenn sie nicht am Tropf der Kirchensteuer hingen.
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Das Phänomen der Lakewood-Gemeinde
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Mega-Churches sind meist Familienunternehmen. Sie lösten sich sukzessive aus ihrer Ursprungsdenomination und tragen die Handschrift ihrer Gründer und deren Nachkommen. Besonders auffällig ist dies bei der Lakewood-Church in Houston, Texas. John Osteen (1921-1999), Gründungspastor, hatte sich 1958 von den Süd-Baptisten getrennt und pfingstlichen Strömungen geöffnet. Schon zu seinen Lebzeiten war die Lakewood-Gemeinde ungewöhnlich erfolgreich. So wurden seine Gottesdienste in über 100 Länder ausgestrahlt. Unter seinem Sohn Joel, geboren 1964, ist Lakewood in kurzer Zeit geradezu explodiert. Jetzt kommen Woche für Woche fast 50.000 in das ehemalige Compaq Center von Houston. Mehrere 100 Millionen verfolgen die Gottesdienste weltweit auf dem Bildschirm. Da, wo früher Sportveranstaltungen durchgeführt und Rockkonzerte gegeben wurden, singen und beten jetzt gemeinsam Menschen aller Rassen und sozialen Schichten mit unterschiedlichem religiösen Background: Protestanten und Katholiken, Buddhisten und Juden, Atheisten und Pfingstler, Evangelikale und Liberale. Meistens Angehörige der jüngeren und mittleren Generation.
Am erstaunlichsten aber ist die Person Joel Osteen selbst. Bis zum Tod des Vaters 1999 war er im Hintergrund für die Ausstrahlung der Fernsehprogramme zuständig. Dann spürte er in sich die Berufung, den Predigtdienst des Vaters fortzusetzen. Ohne jede theologische Ausbildung. Er entpuppte sich als charismatische Person und begnadeter Prediger. ABC News hat ihn 2006 zu den zehn faszinierendsten Persönlichkeiten der Vereinigten Staaten gezählt. Seine Bücher haben dort höhere Auflagen und Verkaufszahlen als die des Papstes. Die Zeitschrift Businessweek empfahl kürzlich den Managern des Landes, sich an Leuten wie ihm zu orientieren und ihre Mitarbeitenden und Kunden in erster Linie mit positiven Botschaften zu motivieren.
Das Leitmotiv seiner Predigten und Bücher lautet: Gott erniedrigt keinen. Osteen will, dass die Gläubigen innerlich wachsen, bessere Gewohnheiten annehmen und zu allem eine positive Einstellung haben. Alle können freundlicher und glücklicher werden. "Gospel light" sagen seine Kritiker. "Danke, Joel, Sie haben mein Leben positiv verändert“, sagen seine Fans. Und Osteen sagt: "Die Menschen werden die Woche über genug frustriert und gestresst. Ich will sie aufbauen und ihnen Hoffnung geben, die aus dem Glauben kommt." Sein Erfolg hängt mit seiner Ausstrahlung und seiner Professionalität zusammen. Während Bill Hybels mit seinen niederländischen Wurzeln den Europäern wohl am nächsten steht, ist Joel Osteen aus deutscher Sicht schon sehr amerikanisch.
Im Lakewood-Gottesdienst, übrigens wie auch in Willow Creek, ist alles verschwunden, was äußerlich an traditionelle Gottesdienste erinnert: Kein Kirchengebäude. Keine religiösen Symbole, nicht einmal ein Kreuz. Keine Orgel. Keine Choräle. Kein Talar. Keine Liturgie. Einziger Bezugs- und Identifikationspunkt ist die Bibel, die viele Gottesdienstbesucher mitbringen. Sie halten sie zu Beginn hoch und sagen gemeinsam. "Das ist meine Bibel. Ich bin, was sie sagt, dass ich bin. Ich habe, was sie sagt, dass ich habe. Ich kann tun, was sie sagt, dass ich tun kann ...“
Bei manchen Mega-Churches stellt der Übergang in die nächste Generation ein ernstes Problem dar. Nicht nur bei den Schullers in Los Angeles ist er misslungen. Auch Willow Creek hat mit der anstehenden Nachfolge von Bill Hybels Probleme. Ebenso ist die Nachfolge von Rick Warren in der Saddleback Church in Südkalifornien nicht geregelt. Einzig in Lakewood hat der Generationenwechsel geklappt. Ein Schwachpunkt der Mega-Gemeinden scheint zu sein, dass sie starke, charismatische Führungspersönlichkeiten brauchen, um für so viele attraktiv zu bleiben. Doch im Grunde gilt das für jede Organisation, auch für landeskirchliche Gemeinden hierzulande, die doch hauptsächlich Verwaltungseinheiten sind.
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Gemeindebelebung weltweit
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Und Deutschland? Die Mega-Churches werden in Journalisten- und Theologenkreisen weitgehend negativ bewertet. Trotzdem hat inzwischen auch hier die Willow Creek Community Church wachsenden Einfluss auf die Entwicklung einer Vielzahl von freikirchlichen wie landeskirchlichen Gemeinden. Ihre gut besuchten Kongresse sind zu Zentren für Gemeindewachstum geworden. Im Januar 2010 nahmen in Karlsruhe über 8000 Haupt- und Ehrenamtliche aus verschiedenen Kirchen teil. Pastor Bill Hybels ist der große Star einer weltweiten Bewegung für Gemeindebelebung. Er hat inzwischen auf allen Kontinenten den wohl größten Einfluss auf die Entwicklung der pro-testantischen Christenheit.
Interessant ist die Reveal-Studie, die von Willow durchgeführt wird. In ihr geht es erstmals auch um das Glaubenswachstum des Einzelnen, was es fördert, was es behindert. Aus der Datenbasis einer Umfrage in mehreren hundert Gemeinden verschiedener Denominationen und Länder ergibt sich unter anderem, dass am Glauben Interessierte aus vier Gruppen bestehen: Die Suchenden, die Starter, die „mit Jesus leben“ und die Christuszentrierten. Letztere zeichnen sich besonders durch ihr Engagement für Notleidende aus. Aufgabe der Gemeinde ist es, den Gläubigen dabei zu unterstützen, ein Stadium zu erreichen, in dem er selbst die volle Verantwortung für seinen Glauben übernehmen kann. Weitere Erkenntnisse sind, dass die Teilnahme an Gemeindeveranstaltungen die Glaubensentwicklung nicht wesentlich fördert, sondern der persönliche Austausch über Glaubens- und Lebensfragen mit vertrauten Personen, das Gebet um Führung und Vergebung und vor allem das Nachdenken über die Bibel.
Die Schriften und DVDs aus den Mega-Churches haben bei uns stetig wachsende Auflagenzahlen. Joel Osteen, John Ortberg, Joyce Meyer, Rick Warren, Dallas Willard, Max Lucado und nicht zuletzt Bill Hybels füllen zunehmend die Bücherregale von Theologen und Laien. Ihre Ansätze und Konzepte, besonders die von Willow Creek, sind auch in landeskirchlichen Ortsgemeinden wirkungsvoll und erfolgreich. Wo ihre Impulse aufgenommen werden, sind die Kindergottesdienste wieder voll, werden erstaunlich viele 20-50jährige erreicht, die sich aus den traditionellen Gottesdiensten längst verabschiedet beziehungsweise dort nie Fuß gefasst haben. Mit EKD-Zukunftspapieren und landeskirchlichen Initiativen hat das alles nichts mehr zu tun. Die Zukunft der Kirche findet in eigeninitiativen Ortsgemeinden statt, in denen die Bibel ihre zentrale Bedeutung zurück erlangt hat. Sie sind, so Bill Hybels, "die Hoffnung der Welt". Allerdings braucht der neue Wein auch neue Schläuche - in jeder Hinsicht, auch im Hinblick auf die Selbstbestimmung und Selbstfinanzierung der Gemeinden.
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Ein gewagter Blick in die Zukunft
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Spätestens mit dem Ende der Kirchensteuer werden die deutschen Landeskirchen und ihre Strukturen verblassen. Sehr viel weniger Ortsgemeinden als jetzt werden eigenständig überleben. Sie werden die jetzt noch bestehenden territorialen, aber auch die konfessionellen Grenzen sprengen und sich in übergreifenden, losen Gemeindeverbünden organisieren. Die organisatorischen Defizite der Reformation werden nach und nach ausgeglichen. Dieser Prozess ist nicht steuerbar und wird nach eigenen Gesetzen ablaufen, in der Glaubenssprache: „Wo und wann es von Gott vorgesehen ist“. Wie es den Anschein hat, läuft auch die Zeit für die Kirchengebäude ab und mit ihr die Zeit für so manches, was in der Vergangenheit lieb und vor allem teuer war. Die traditionelle Kirchenorganisation hat ihre Zeit gehabt. An ihre Stelle treten selbstbestimmte, profilierte, professionell geleitete Ortsgemeinden mit Mitgliedern, die ihren Glauben selbst verantworten. Nicht nur wirtschaftlich und politisch, auch kirchlich kommen spannende Zeiten.

Hans Löhr, Pfarrer
Juni 2010