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Dienstag, 15. Juni 2010

Change - Der Wandel hat begonnen

Amerikanische Mega-Gemeinden und ihr Einfluss auf die evangelischen Kirchen in Deutschland

Der „Wind Of Change“ kommt vom Himmel: Woche für Woche strahlen Satelliten die Gottesdienste amerikanischer Mega-Churches aus. In riesigen Hallen ziehen talentierte Prediger tausende von Gottesdienstgästen in ihren Bann und gleichzeitig Millionen vor den Bildschirmen. YouTube zeigt die Events losgelöst von Raum und Zeit auf Notebooks und SmartPhones. Mega-Gemeinden sprießen wie Pilze aus dem Boden religiöser Sehnsüchte. Traditionelle Gemeinden in den USA melden Konkurs an. Werden diese Großgemeinden auch das kirchliche Leben in Deutschland verändern? Die Frage kommt zu spät. Das ist längst der Fall, nicht nur in den Städten, sondern bereits in traditionellen Gemeinden auf dem Land.
Menschen stimmen in der Regel mit den Füßen ab: Mehrere tausend Jugendliche feiern Woche für Woche in der eher pfingstlichen Hillsong-Church in Sydney und in ihren zahlreichen internationalen Ablegern. 20.000 Gottesdienstbesucher sind es am Wochenende in der Baptistengemeinde Willow Creek in South Barrington bei Chicago. Den Rekord hält Joel Osteen mit fast 50.000 Gottesdienstgästen in seiner Lakewood-Church in Houston, Texas. Neben den Mega-Churches existieren noch zahllose Gemeinden mit hunderten von Gottesdienstbesuchern, die auch in Deutschland gegen den Trend wachsen.
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Traditionelle Gottesdienste im Sinkflug
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Interessant ist die Geschichte des dreiundachtzigjährigen Dr. Robert Harold Schuller und seiner Crystal Cathedral. Er war Vorbild für viele Gründer von Mega-Gemeinden weltweit. In Südkorea hat man sogar den Baustil des architektonischen Meisterwerks der Kristall-"Kathedrale" in Garden Grove bei Los Angeles kopiert. Inzwischen ist Dr. Schullers Konzept etwas aus der Mode gekommen. Die Gottesdienste werden mehr und mehr, was die traditionellen Gottesdienste in Deutschland längst sind: Seniorenangebote.
Gründungspastor Schuller war jahrzehntelang mit dem Konzept erfolgreich, die herkömmlichen Gottesdienste zu hollywoodisieren. Schließlich liegt die Traumfabrik nur wenige Meilen entfernt. Das Kirchengebäude sollte imposanter sein, die Talare opulenter, die Hazle-Wright-Orgel und der Kirchenchor mit dem Hour Of Power Sinfonieorchester gigantischer und die Botschaft emphatischer als in anderen Kirchen in den USA oder gar in Europa. Doch der Zug der Zeit ist für Hour Of Power wohl abgefahren, den weltweit meist gesehenen TV-Gottesdienst der letzten Jahrzehnte. Viele Menschen bis 60 mögen keine Kirchengebäude, Talare, Orgeln, Choräle und Kirchenchöre mehr. Das gilt auch für Deutschland. Sohn Robert Anthony Schuller hatte das gespürt. Er war bereits als Nachfolger seines Vaters inauguriert als es zum Bruch kam. Er verzichtete nicht nur auf den Talar in den Gottesdiensten, er wollte das Gesamtkonzept der Crystal Cathedral modernisieren. Doch Erzvater Robert Harold Schuller wacht über seinem Lebenswerk wie lutherische Bischöfe über ihren traditionellen Landeskirchen. Ohne rechtzeitige Innovation geht es nun auch mit der Kristall-"Kathedrale" bergab.
Nachtrag März 2012:
In ihrer Ausgabe 1/2012 meldet das Magazin "Powerful Life" von Hour Of Power Deutschland: "Am 3. Februar 2012 wurde das Verfahren über den Verkauf der Crystal Cathedral und der umliegenden Gebäude abgeschlossen. Der gesamte Campus der Crystal Cathedral geht dadurch in den Besitz der katholischen Diözese von Orange County über." Noch wird versucht, zu retten was zu retten ist und einen neuen Ort für die „Hour of Power“-Gottesdienste zu finden. Auch die internationalen Fernsehausstrahlungen sollen zunächst weitergehen. Doch mit dem bisherigen Konzept wird es für das beachtliche Lebenswerk von Dr. Robert H. Schuller wohl keine Zukunft geben. Auch unsere Landeskirchen mit ihren traditionellen Kirchengottesdiensten und ihrem volkskirchlichen Verwaltungs- und Versorgungskonzept wären längst bankrott, wenn sie nicht am Tropf der Kirchensteuer hingen.
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Das Phänomen der Lakewood-Gemeinde
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Mega-Churches sind meist Familienunternehmen. Sie lösten sich sukzessive aus ihrer Ursprungsdenomination und tragen die Handschrift ihrer Gründer und deren Nachkommen. Besonders auffällig ist dies bei der Lakewood-Church in Houston, Texas. John Osteen (1921-1999), Gründungspastor, hatte sich 1958 von den Süd-Baptisten getrennt und pfingstlichen Strömungen geöffnet. Schon zu seinen Lebzeiten war die Lakewood-Gemeinde ungewöhnlich erfolgreich. So wurden seine Gottesdienste in über 100 Länder ausgestrahlt. Unter seinem Sohn Joel, geboren 1964, ist Lakewood in kurzer Zeit geradezu explodiert. Jetzt kommen Woche für Woche fast 50.000 in das ehemalige Compaq Center von Houston. Mehrere 100 Millionen verfolgen die Gottesdienste weltweit auf dem Bildschirm. Da, wo früher Sportveranstaltungen durchgeführt und Rockkonzerte gegeben wurden, singen und beten jetzt gemeinsam Menschen aller Rassen und sozialen Schichten mit unterschiedlichem religiösen Background: Protestanten und Katholiken, Buddhisten und Juden, Atheisten und Pfingstler, Evangelikale und Liberale. Meistens Angehörige der jüngeren und mittleren Generation.
Am erstaunlichsten aber ist die Person Joel Osteen selbst. Bis zum Tod des Vaters 1999 war er im Hintergrund für die Ausstrahlung der Fernsehprogramme zuständig. Dann spürte er in sich die Berufung, den Predigtdienst des Vaters fortzusetzen. Ohne jede theologische Ausbildung. Er entpuppte sich als charismatische Person und begnadeter Prediger. ABC News hat ihn 2006 zu den zehn faszinierendsten Persönlichkeiten der Vereinigten Staaten gezählt. Seine Bücher haben dort höhere Auflagen und Verkaufszahlen als die des Papstes. Die Zeitschrift Businessweek empfahl kürzlich den Managern des Landes, sich an Leuten wie ihm zu orientieren und ihre Mitarbeitenden und Kunden in erster Linie mit positiven Botschaften zu motivieren.
Das Leitmotiv seiner Predigten und Bücher lautet: Gott erniedrigt keinen. Osteen will, dass die Gläubigen innerlich wachsen, bessere Gewohnheiten annehmen und zu allem eine positive Einstellung haben. Alle können freundlicher und glücklicher werden. "Gospel light" sagen seine Kritiker. "Danke, Joel, Sie haben mein Leben positiv verändert“, sagen seine Fans. Und Osteen sagt: "Die Menschen werden die Woche über genug frustriert und gestresst. Ich will sie aufbauen und ihnen Hoffnung geben, die aus dem Glauben kommt." Sein Erfolg hängt mit seiner Ausstrahlung und seiner Professionalität zusammen. Während Bill Hybels mit seinen niederländischen Wurzeln den Europäern wohl am nächsten steht, ist Joel Osteen aus deutscher Sicht schon sehr amerikanisch.
Im Lakewood-Gottesdienst, übrigens wie auch in Willow Creek, ist alles verschwunden, was äußerlich an traditionelle Gottesdienste erinnert: Kein Kirchengebäude. Keine religiösen Symbole, nicht einmal ein Kreuz. Keine Orgel. Keine Choräle. Kein Talar. Keine Liturgie. Einziger Bezugs- und Identifikationspunkt ist die Bibel, die viele Gottesdienstbesucher mitbringen. Sie halten sie zu Beginn hoch und sagen gemeinsam. "Das ist meine Bibel. Ich bin, was sie sagt, dass ich bin. Ich habe, was sie sagt, dass ich habe. Ich kann tun, was sie sagt, dass ich tun kann ...“
Bei manchen Mega-Churches stellt der Übergang in die nächste Generation ein ernstes Problem dar. Nicht nur bei den Schullers in Los Angeles ist er misslungen. Auch Willow Creek hat mit der anstehenden Nachfolge von Bill Hybels Probleme. Ebenso ist die Nachfolge von Rick Warren in der Saddleback Church in Südkalifornien nicht geregelt. Einzig in Lakewood hat der Generationenwechsel geklappt. Ein Schwachpunkt der Mega-Gemeinden scheint zu sein, dass sie starke, charismatische Führungspersönlichkeiten brauchen, um für so viele attraktiv zu bleiben. Doch im Grunde gilt das für jede Organisation, auch für landeskirchliche Gemeinden hierzulande, die doch hauptsächlich Verwaltungseinheiten sind.
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Gemeindebelebung weltweit
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Und Deutschland? Die Mega-Churches werden in Journalisten- und Theologenkreisen weitgehend negativ bewertet. Trotzdem hat inzwischen auch hier die Willow Creek Community Church wachsenden Einfluss auf die Entwicklung einer Vielzahl von freikirchlichen wie landeskirchlichen Gemeinden. Ihre gut besuchten Kongresse sind zu Zentren für Gemeindewachstum geworden. Im Januar 2010 nahmen in Karlsruhe über 8000 Haupt- und Ehrenamtliche aus verschiedenen Kirchen teil. Pastor Bill Hybels ist der große Star einer weltweiten Bewegung für Gemeindebelebung. Er hat inzwischen auf allen Kontinenten den wohl größten Einfluss auf die Entwicklung der pro-testantischen Christenheit.
Interessant ist die Reveal-Studie, die von Willow durchgeführt wird. In ihr geht es erstmals auch um das Glaubenswachstum des Einzelnen, was es fördert, was es behindert. Aus der Datenbasis einer Umfrage in mehreren hundert Gemeinden verschiedener Denominationen und Länder ergibt sich unter anderem, dass am Glauben Interessierte aus vier Gruppen bestehen: Die Suchenden, die Starter, die „mit Jesus leben“ und die Christuszentrierten. Letztere zeichnen sich besonders durch ihr Engagement für Notleidende aus. Aufgabe der Gemeinde ist es, den Gläubigen dabei zu unterstützen, ein Stadium zu erreichen, in dem er selbst die volle Verantwortung für seinen Glauben übernehmen kann. Weitere Erkenntnisse sind, dass die Teilnahme an Gemeindeveranstaltungen die Glaubensentwicklung nicht wesentlich fördert, sondern der persönliche Austausch über Glaubens- und Lebensfragen mit vertrauten Personen, das Gebet um Führung und Vergebung und vor allem das Nachdenken über die Bibel.
Die Schriften und DVDs aus den Mega-Churches haben bei uns stetig wachsende Auflagenzahlen. Joel Osteen, John Ortberg, Joyce Meyer, Rick Warren, Dallas Willard, Max Lucado und nicht zuletzt Bill Hybels füllen zunehmend die Bücherregale von Theologen und Laien. Ihre Ansätze und Konzepte, besonders die von Willow Creek, sind auch in landeskirchlichen Ortsgemeinden wirkungsvoll und erfolgreich. Wo ihre Impulse aufgenommen werden, sind die Kindergottesdienste wieder voll, werden erstaunlich viele 20-50jährige erreicht, die sich aus den traditionellen Gottesdiensten längst verabschiedet beziehungsweise dort nie Fuß gefasst haben. Mit EKD-Zukunftspapieren und landeskirchlichen Initiativen hat das alles nichts mehr zu tun. Die Zukunft der Kirche findet in eigeninitiativen Ortsgemeinden statt, in denen die Bibel ihre zentrale Bedeutung zurück erlangt hat. Sie sind, so Bill Hybels, "die Hoffnung der Welt". Allerdings braucht der neue Wein auch neue Schläuche - in jeder Hinsicht, auch im Hinblick auf die Selbstbestimmung und Selbstfinanzierung der Gemeinden.
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Ein gewagter Blick in die Zukunft
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Spätestens mit dem Ende der Kirchensteuer werden die deutschen Landeskirchen und ihre Strukturen verblassen. Sehr viel weniger Ortsgemeinden als jetzt werden eigenständig überleben. Sie werden die jetzt noch bestehenden territorialen, aber auch die konfessionellen Grenzen sprengen und sich in übergreifenden, losen Gemeindeverbünden organisieren. Die organisatorischen Defizite der Reformation werden nach und nach ausgeglichen. Dieser Prozess ist nicht steuerbar und wird nach eigenen Gesetzen ablaufen, in der Glaubenssprache: „Wo und wann es von Gott vorgesehen ist“. Wie es den Anschein hat, läuft auch die Zeit für die Kirchengebäude ab und mit ihr die Zeit für so manches, was in der Vergangenheit lieb und vor allem teuer war. Die traditionelle Kirchenorganisation hat ihre Zeit gehabt. An ihre Stelle treten selbstbestimmte, profilierte, professionell geleitete Ortsgemeinden mit Mitgliedern, die ihren Glauben selbst verantworten. Nicht nur wirtschaftlich und politisch, auch kirchlich kommen spannende Zeiten.

Hans Löhr, Pfarrer
Juni 2010

Freiheit und Verantwortung

Gegen die Bevormundung der Ortsgemeinden 

durch die Kirchenleitung der Evang.-Luth. Kirche in Bayern.

März 2010. Der Landesbischof von Bayern teilt den Pfarrerinnen und Pfarrern mit, dass weitere Pfarrstellen abgebaut, die Mitgliederzahlen weiter sinken und die Kirchensteuereinnahmen noch stärker zurück gehen werden. Sie erfahren, dass man sich in der Kirchenleitung darum sorgt, wie die Gemeinden trotz des Personalrückgangs so gut wie möglich versorgt und die rückläufigen Einnahmen gerecht verteilt werden können. Das klingt verantwortungsbewusst, offenbart aber zugleich ein Grundsatzproblem, das künftig immer schärfer zu Tage treten wird. Kurz gesagt: Es geht um die Finanz- und Personalhoheit in unserer evangelischen Kirche und damit auch um die Macht.
Wer ist denn für die Pfarrerinnen und Pfarrer, deren Anstellung und Besoldung zuständig? Eigentlich ist diese Frage in der Kirche der Reformation seit fast 500 Jahren beantwortet: Zuständig ist die Ortsgemeinde, sind die Gläubigen, von deren Priestertum in Sonntagsreden gerne gesprochen wird, die in Wahrheit aber unmündig gehalten werden. Sie werden von den Organen der Kirchenleitung nach katholischem Vorbild schlichtweg bevormundet. Man nimmt ihnen ihr Geld, leitet ihre Kirchensteuern auf ein zentrales Konto der Landeskirche, um dann einen Teil davon großzügig als „Zuwendung“ zu erstatten. Man nimmt ihnen das Recht, Pfarrerinnen oder Pfarrer selbst anzustellen und zu bezahlen.
Wer sagt denn, wie viele Pfarrerinnen und Pfarrer unsere Landeskirche braucht? Nach welchen Maßstäben wird die Zahl festgelegt? Wer befindet über die sogenannte pastorale Grundversorgung? Entscheidend muss doch sein, was die Gläubigen selbst wollen, ob sie unabhängig von der Größe ihrer Kirchengemeinde selbst einen Pfarrer/eine Pfarrerin ihrer Wahl anstellen und finanzieren möchten oder nicht.
Misstrauen gegen Gemeindeglieder
Die direkte finanzielle Beteiligung der Gemeindeglieder an den Personalkosten und Kosten für die Gemeindeimmobilien würde von selbst zu einer stärkeren Identifikation mit der Kirchengemeinde führen. Die Gläubigen sollen mit ihren Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorstehern selbst entscheiden können, was mit ihrem Geld geschehen soll, welche Gebäude sie zu welchem Preis bauen und unterhalten wollen, welche Mitarbeitenden sie anstellen wollen, welche Bereiche der Gemeindearbeit sie finanzieren wollen, ob sie sich noch eine Orgel leisten möchten oder nicht, welche Schwerpunkte in der Gemeindearbeit gebildet werden sollen, wie viel Geld sie für eine übergemeindliche Organisationsform erübrigen wollen und so weiter.
Ein häufig zu hörendes Argument dagegen ist das Misstrauen gegenüber den eigenen Gemeindegliedern. Man unterstellt ihnen, dass sie dann ihre Pfarrerin / ihren Pfarrer in finanzieller Abhängigkeit hielten und ihr / ihm nicht mehr die Freiheit ließen, das zu sagen, was von Schrift und Bekenntnis geboten ist. Da ist es dann plötzlich mit dem „Priestertum aller Getauften“, der Gleichberechtigung unter evangelischen Christen, nicht mehr so weit her. Da unterscheiden sich dann die Kompetenzen eines Kirchenvorstands nicht mehr bedeutsam von denen einer Schülermitverwaltung.
Überflüssiger Landesstellenplan
Wenn die Gläubigen in den Gemeinden selbst entscheiden, wie viele Pfarrer und Pfarrerinnen sie brauchen, wird jeder Landesstellenplan überflüssig. Dann denken, planen und bestimmen nicht mehr die Mitglieder einer Kirchenleitung nach Gutsherrnart für die Mitglieder einer Ortsgemeinde, sondern diese nehmen ihr Anliegen gut biblisch und gut reformatorisch selbst in die Hand. Damit wird dann nicht nur ein Landesstellenplan überflüssig, sondern noch einiges mehr an Kirchenverwaltung, das jetzt noch teuer bezahlt werden muss. Wenn die Kirchenbasis erst einmal selbst entscheidet, steht viel, sehr viel auf dem Prüfstand. Kein Wunder, dass das heftigen Widerstand provoziert.
Aber, so könnte man jetzt einwenden, sind nicht die Laien über die Landessynode an der Kirchenleitung beteiligt? Wird dort nicht im Interesse der Gläubigen und stellvertretend für sie zum Wohl der Kirche und der Gemeinden gearbeitet? In der Theorie ist das wohl so, in der Praxis nicht. Die Landessynode leiset nicht das, was ihre Mitglieder selbst gern leisten möchten. Das hat verschiedene Ursachen, die auch damit zusammenhängen, dass über den Landeskirchenrat und den Landessynodalausschuss bereits viele Vorgaben gemacht werden, die das einzelne Synodenmitglied kaum mehr infrage stellen kann, ohne sich zu isolieren. Der Wissensvorsprung ist oft schon zu groß und Wissen ist Macht.
Das System hat sich überlebt
Das System Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern hat sich in der bestehenden Form überlebt. Die Landeskirche ist zu einer juristisch überregulierten Verwaltungseinheit geworden, mit der sich die Gläubigen in den Gemeinden kaum noch identifizieren können. Sie hat keine gestaltende und zukunftsweisende Kraft mehr. Es gelingt ihr nicht, den Auftrag Jesu für seine Kirche zu erfüllen. Statt Menschen für den Glauben zu gewinnen, verliert sie viele. Statt auf die Qualität des Glaubens bei ihren Mitgliedern zu achten (weniger als 20 % der Kirchenmitglieder glauben bibel- und bekenntnisgemäß), ist sie auf Quantitäten fixiert: Wie viele Kirchenaustritte werden es im nächsten Jahr sein? Wie stark werden die Kirchensteuereinnahmen zurückgehen? Wie viele Pfarrerinnen und Pfarrern können wir uns noch leisten? Wie viel Geld steht noch zur Verfügung? Und so weiter.
Hilflos gegenüber Negativtrend
Es hat keinen Sinn, die Schuld für den Zustand unserer Kirche einzelnen Personen zuzuweisen. Viele engagieren sich auch in der Kirchenleitung in hohem Maß und sind der subjektiven Überzeugung, dass sie der Kirche einen guten Dienst erweisen. Aber es hätte Sinn, wenn zum Beispiel der Landeskirchenrat von sich aus zu der Einsicht käme, dass es ihm weder in der Vergangenheit gelungen ist noch in der Gegenwart gelingt, den Negativtrend in der Kirche aufzuhalten oder gar umzukehren. Er sollte als faktischer „Vorstand“ dafür die Verantwortung übernehmen, wie das auch sonst in unserer Gesellschaft bei Misserfolg der Fall ist. Vielleicht würde so der Weg frei für eine grundsätzliche und gründliche Neubesinnung. Vielleicht könnte die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern sich auf diese Weise noch einmal reorganisieren und die entscheidenden Prioritäten setzen: ihren Mitgliedern in den Kirchengemeinden die Verantwortung für die Verkündigung von Jesus Christus zu überlassen und ihnen für das Gemeindeleben wieder die Freiheit und Macht zu geben, die sie dafür brauchen.
Hans Löhr, Pfarrer
Sommersdorf, März 2010
hansloehr@yahoo.de
Anhang: 

Prof. Dr. Michael Herbst, Greifswald: "Kirchensteuer ist aufgebbar": http://www.ead.de/nachrichten/nachrichten/einzelansicht/article/willow-creek-leitungskongress-kirche-kann-auf-kirchensteuer-verzichten.html
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Meldung von tagesschau online vom 25.09.2011:
Papst Benedikt XVI. hat zum Abschluss seines Besuches in Deutschland vor 1500 geladenen Gästen im Konzerthaus von Freiburg eine Rede gehalten. Darin forderte er die "Entweltlichung" der katholischen Kirche. Um ihrem eigentlichen Auftrag zu genügen, müsse die Kirche immer wieder die Anstrengung unternehmen, "sich von ihrer Verweltlichung zu lösen".
Überraschend forderte Benedikt in diesem Zusammenhang auch, die katholische Kirche solle auf staatliche Privilegien verzichten. "Die von materiellen und politischen Lasten und Privilegien befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden." Dann könne sie ihre Berufung zum Dienst der Anbetung Gottes und zum Dienst des Nächsten wieder unbefangener leben. Welche staatlichen Vorrechte der Papst meinte, sagte er nicht. Zu den Privilegien gehören in Deutschland die staatliche Einziehung der Kirchensteuer, die finanziellen Staatsleistungen an die Kirchen, der Religionsunterricht an staatlichen Schulen und die theologischen Fakultäten an den Universitäten.
Benedikt betonte: "Eine vom Weltlichen entlastete Kirche vermag gerade auch im sozial-karitativen Bereich den Menschen, den Leidenden wie ihren Helfern, die besondere Lebenskraft des christlichen Glaubens vermitteln." Sie öffne sich der Welt, nicht um die Menschen für eine Institution mit eigenen Machtansprüchen zu gewinnen, sondern um sie zu sich selbst zu führen.
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