Abschiedsworte von Hans Löhr
Ungekürzter Artikel für
Gemeindebrief der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinden
Sommersdorf-Burgoberbach und Thann vom 15.1.2015
Fast 40 Jahre war ich nun im
Kirchendienst als Vikar in Erlangen, als Pfarrer auf der zweiten Pfarrstelle in
Röthenbach an der Pegnitz, als geschäftsführender Studentenpfarrer an der
Universität München, als Leiter der Geschäftsstelle „Evangelisches
Münchenprogramm“ und schließlich die letzten 13 1/2 Jahre als Pfarrer in der Pfarrei
Sommersdorf-Burgoberbach und Thann.
Nun
also geht mein aktiver Pfarrdienst am 28. Februar zu Ende und ab 1. März bin
ich Rentner. Grund genug, auf das Berufsleben zurück zu blicken und Bilanz zu
ziehen. Allerdings werde ich nicht komplett von der Bildfläche der Gemeinde
verschwinden, da meine Frau nun meine halbe Stelle zusätzlich übernommen hat
und sich über die eine oder andere Unterstützung freut.
Wie
jeder Pfarrer und jede Pfarrerin habe ich eine Vielzahl von Menschen getauft, in
der Schule unterrichtet, konfirmiert, getraut und beerdigt. Hinzu kommen
zahllose Besuche und Gottesdienste an Sonntagen und bei verschiedenen Anlässen.
Das Schöne an diesem Beruf ist, dass man viel mit Menschen unterschiedlichen
Alters und aus unterschiedlichen sozialen Schichten zu tun hat.
Doch
dazu gehören auch schmerzliche Erlebnisse wie jene furchtbaren Tage im August 2006, als ein Mann im
Nachbardorf seine Frau, seine Mutter seine beiden Kinder und zuletzt sich
selbst erstach, und ich mit meinem katholischen Kollegen die Angehörigen
begleitet und die fünf Toten beerdigt habe.
Meiner
Frau und mir lag von Anfang an daran, die Gemeinde nicht nur zu verwalten,
sondern die Herausforderungen unserer Zeit anzunehmen und mit neuen Angeboten
zu reagieren. Wir wollten und wollen den Niedergang der Kirche nicht
achselzuckend zur Kenntnis nehmen und dabei monatlich unser festes Gehalt
einstreichen, das man als Pfarrer unabhängig davon bekommt, was man leistet.
Deshalb haben wir 2004 zunächst im Bereich Kindergottesdienst mit den
„Sonntagskindern“ ein neues Projekt begonnen, das bis heute gut angenommen
wird. Ermutigt durch diesen Erfolg haben wir gemeinsam mit den
Kirchenvorständen weitere Neuerungen eingeführt allen voran den
„Lichtblickgottesdienst“ für die große Zahl von Menschen, die nach wie vor
Interesse am Glauben haben, aber mit den traditionellen Kirchengottesdiensten
nichts mehr anfangen können.
Nach
intensiven Vorüberlegungen starteten wir im Jahr 2008 diesen alternativen
Gottesdienst in der Schulaula in Burgoberbach mit inzwischen 300 Besuchern aus
der Region.
Unsere
Zukunft: Die Kinder
Gleichzeitig
wurden die Angebote für Kinder erweitert. Nun gibt es auch noch den Wichtel-
und Kinderlichtblick, die Jungschar, ein Angebot für Teens und nach wie vor die
Wichtelgottesdienste in der Kirche.
Die
Zukunft der Gemeinde sind nun mal die Kinder. Wenn man sie bis zu ihrem 13.
Lebensjahr nicht für den Glauben begeistern kann, sind sie in aller Regel für
die Gemeinde und die Kirche verloren.
Traditionelle
Gemeindearbeit
Nach
wie vor gibt es auch das traditionelle Gottesdienstangebot in den Kirchen in
Sommersdorf und in Thann. Es werden Gemeindeglieder bei Geburtstagen und im
Krankenhaus besucht, auch die Seniorenarbeit und der Diakonieverein werden fortgeführt.
Auch
die Kontakte zu unseren Partnern in Tansania sind weiterhin lebendig. Seit
vielen Jahren bekommen wir erfreulich viele Spenden für die Waisenkinder, die
wir dort unterstützen. Wir haben diese Arbeit unseres Vorgängers, Pfarrer
Hansjörg Meyer, gern fortgesetzt.
Ein
weiterer Schwerpunkt meiner Arbeit war die Öffentlichkeitsarbeit. Der
Gemeindebrief wurde komplett überarbeitet und ein Internetauftritt der Pfarrei
installiert.
Unsere
Glaubensimpulse „Nachdenken über die
Bibel“ bekommen täglich ca. 170 Interessierte über E-Mail oder, wie in Thann,
in die Briefkästen. Dazu legen wir das tägliche Losungswort und den Lehrtext
aus und fügen ein Gebet an. Dahinter steht das Ergebnis einer weltweiten
Umfrage von Willow Creek, dass nichts das Glaubenswachstum eines Menschen so
fördert wie die Beschäftigung mit der Bibel. Weltweit werden unsere
Losungsauslegungen auch im Internet-Blog gelesen. Die inzwischen 1250
Auslegungen wurden seit Mai 2010 bereits 127.000 Mal aufgerufen: www.glaubenswachstum.blogspot.de
Die
Ehrenamtlichen liegen uns besonders am Herzen. Ohne sie könnten wir den größten
Teil unserer Arbeit nicht leisten. Als Dankeschön bekommen die Mitarbeitenden
in Leitungspositionen die besten Fortbildungsangebote, die wir in Deutschland
finden können.
An
dieser Stelle möchte ich ausdrücklich all denen danken, die mich in meiner
Arbeit unterstützt haben: den Sekretärinnen und Kollegen, Mesnerinnen und
Organisten, den Mitarbeitenden im Kirchengemeindeamt, den Ehrenamtlichen und
meiner Frau.
Natürlich
freuen wir uns über den verhältnismäßig großen Zuspruch für unsere Arbeit. Aber
auch wir leiden nach wie vor unter einem Desinteresse bei der Mehrheit unserer
Gemeindeglieder. Wir erreichen viele mit dem einen oder anderen Angebot. Aber
nur der kleinere Teil erlebt, was das Motto unserer Arbeit ist:
Die Gemeinde ist der Ort,
wo dein Glaube ein Zuhause hat
und, so füge ich mit Bill Hybels hinzu: Eine lebendige Ortsgemeinde
ist die Hoffnung der Welt.
Darum
ging es mir vor allem in den letzten 20 Jahren und wird es meiner Frau auch in
Zukunft gehen.
Daseinsberechtigung für
Christengemeinde
Unseres
Erachtens hat eine Christengemeinde nur dann eine Daseinsberechtigung, wenn sie
Menschen ermutigt
•
die persönliche Beziehung zu Gott / Jesus zu vertiefen (Glaubenswachstum),
•
für Notleidende in der Nähe und der Ferne ein Herz zu haben und
•
für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung einzutreten.
Nur so hat der Glaube und das Leben
Sinn. Anders gesagt: Die Taufe ist wertlos, wenn nicht der Glaube hinzu kommt,
der durch die Liebe tätig wird.
Seit
meiner Jugendzeit habe ich mich gegen Krieg in jeglicher Form eingesetzt.
Zunächst ging es gegen den Vietnamkrieg, in dem die USA die sogenannten
westlichen Werte wie die Menschenrechte oder das Selbstbestimmungsrecht mit
einer äußerst brutalen Kriegführung gegen die Zivilbevölkerung verraten haben.
Später
war ich in der Friedensbewegung gegen die atomare Bedrohung aktiv. In den
neunziger Jahren leitete ich die „Münchner Friedensrunde für Kroaten, Serben,
Muslime und Deutsche“. Damals unterstützten wir die Balkan-Flüchtlinge und
halfen mit humanitären Aktionen in den vom jugoslawischen Bürgerkrieg
zerstörten Regionen. Während des ersten Golfkriegs lebte einige Zeit ein
französischer Deserteur in unserer Familie. Heute wehre ich mich gegen die
US-Kampfmaschinen über unseren Köpfen, die die Bewohner unserer Dörfern als
Zielscheiben nehmen, um so den Krieg zu üben.
In
meiner Zeit als Studentenpfarrer hat mich auch das Thema Terrorismus
beschäftigt. Auf Wunsch einer Politikerin besuchte ich einen Gefangenen in
Straubing, der am Überfall auf die deutsche Botschaft in Stockholm beteiligt
war. Gleichzeitig initiierte unsere Studentengemeinde sogenannte
„Konsultationen zum Terrorismus“ in der evangelischen Akademie Tutzing mit dem
Ziel, den RAF-Terror in der Bundesrepublik zu beenden. Dabei kamen zum ersten
Mal alle an diesem Problem Beteiligten zu nichtöffentlichen Gesprächen
zusammen: Vertreter des Staates wie die Bundesanwaltschaft, das
Bundespräsidialamt, Justizminister der Länder, Gefängnisdirektoren,
Verfassungsschutz, Rechtsanwälte, Angehörige von Terroropfern und von
inhaftierten wie flüchtigen Terroristen.
Kirchenaustritte
ohne Ende
In
den letzten 40 Jahren habe ich aber auch miterlebt, wie die Kirchenbindung in
der Bevölkerung spürbar nachgelassen hat, die evangelischen Traditionen
abgebrochen und die Kirchenaustritte in schwindelerregende Höhen geklettert
sind.
Von
1970, als ich mein Theologiestudium in Berlin aufgenommen habe, bis heute sind
allein in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern 600.000 Evangelische
aus der Kirche ausgetreten. Das sind mehr Menschen als die Stadt Nürnberg
Einwohner hat oder ein knappes Viertel unserer gegenwärtigen zweieinhalb
Millionen Mitglieder.
Zunächst
habe ich das wie die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen als eine
Zeiterscheinung hingenommen, gegen die man wenig ausrichten könne. Aber je
länger desto mehr ist mir klar geworden, dass wir Kirchenleute einen großen
Anteil daran haben. Habe ich in der ersten Hälfte meines Berufslebens unsere
evangelisch-lutherische Volkskirche noch verteidigt, bin ich in der zweiten
Hälfte zunehmend kirchenkritisch geworden.
Neben
dem durch gesellschaftliche Ursachen bedingten Bedeutungsverlust der Kirchen in
Westeuropa kommen eigene Fehler hinzu, besonders das Versagen bei der
Glaubensvermittlung. In einem Satz: Unsere evangelische Kirche in Bayern wird
dem Auftrag Jesu nicht gerecht, Menschen für das Evangelium zu gewinnen und
anzuleiten, wie man als Christ lebt und glaubt. Stattdessen verliert sie ihre
Mitglieder am laufenden Band. Stattdessen herrscht bei vielen, die noch in
unserer Kirche sind, eine erschreckende Unkenntnis von Gott und das
Missverständnis, es ginge im Glauben um die bürgerliche Moral. Viele Jahrzehnte
lang hat man den Menschen eingetrichtert, was zu glauben ist und was man tun und
lassen muss. Aber man hat sie weithin allein gelassen mit der Frage wie das denn mit dem Glauben geht, wie ich im Alltag damit zurecht komme
und wie ich das Glück, die Schönheit und Freiheit des Glaubens erleben kann.
Es
waren evangelische Christen der Beratungsfirma McKinsey die uns im
Dekanatsbezirk München 1995 auf diese Missstände aufmerksam gemacht haben. Sie
boten eine unentgeltliche Analyse und Beratung mit dem Ziel, die evangelische
Kirche in München für anstehende Herausforderungen zukunftsfähig zu machen. Das
Ergebnis der aufwendigen Untersuchung lautete: Die Kirche hat ein Problem mit
dem Glauben. Dieses Thema muss neu in den Mittelpunkt ihres Handelns gerückt
werden.
Daraufhin
wurden viele Verbesserungsvorschläge ausgearbeitet und manche davon auch
umgesetzt. So gibt es zum Beispiel seitdem stellvertretende Dekaninnen und
Dekane. Ich selbst habe damals mit einem kleinen Mitarbeiterstab eine
Geschäftsstelle aufgebaut, die die Vorschläge des „evangelischen
Münchenprogramms“ in die Praxis umsetzen sollte. Die Zusammenarbeit mit
einzelnen Gemeinden führte zu erfreulichen Ergebnissen. Andere Gemeinden
blockierten. Die Kirchenleitung selbst verlor zunehmend das Interesse an diesem
Programm. Es hätte vor allem den Dekanen zu viel Veränderung abverlangt. Ich
selbst war wohl zu ungeduldig und machte vermutlich zu viel Druck. So wurde das
München-Programm wieder sang- und klanglos eingestellt. Immerhin konnten meine
Frau und ich wichtige Teile davon in unseren Gemeinden umsetzten. Der größte
Fehler des Münchenprogramms war, dass die Veränderung von der Kirchenspitze aus
gehen und gemanaged werden sollte so wie eben Veränderungsprozesse in der
Wirtschaft funktionieren. Doch das ist ein Irrtum. Meine Erfahrungen in der
Landes- und EKD-Synode sprechen dagegen.
Unser
größtes Problem als Kirche ist das viele Geld. 2014 wurde so viel Kirchensteuer
eingenommen wie nie zuvor, etwas über fünf Milliarden Euro in Deutschland.
Gleichzeitig haben 2014 so viele Menschen die evangelische Kirche verlassen wie
nie zuvor. Allein in Bayern waren es 2014 etwa 30.000 Evangelische.
Eigentlich
müssten, angefangen vom Landesbischof über die Synode bis hin zu den Dekanen,
Pfarrern und Kirchenvorständen überall die Alarmglocken schrillen. Doch man
hört höchstens ein leises Bimmeln, weil das viele Geld alles erstickt.
Statt
sich mit den zentralen Fragen des Glaubens und mit dem brennenden Problem des
Mitgliederverlusts zu befassen, wird in der Landessynode viel Zeit und damit
auch Geld und Energie verbraucht, um zum Beispiel Regelungen zu schaffen, dass
homosexuelle Pfarrerinnen und Pfarrer in einem Pfarrhaus zusammenleben können.
Das
Bad des Dagobert Duck
Mit
dem vielen Steuergeld, in dem unsere Kirche badet wie Dagobert Duck in seinem
Geldspeicher, kann man viele Leute anstellen, Häuser bauen, kaufen und
renovieren, neue Sonderpfarrstellen schaffen, Projekte finanzieren, Agenden
drucken, Dienstwagen fahren und die Gräber der Propheten tünchen.
Kindergärten
und soziale Einrichtungen werden damit nur zu einem geringen Teil finanziert.
Das Geld dafür kommt vom Staat und damit von allen Steuerzahlern ob sie nun
Mitglied der Kirche sind oder nicht. Auch für die Restaurierung unserer Orgel
in Thann bekommen wir von der Landeskirche keinen müden Cent.
Aber
mit dem Geld kann man einen riesigen Kirchenapparat unterhalten, der sich
seiner Bedeutung ständig selbst versichert und über den Ortsgemeinden schwebt.
Zusätzlich lähmt das Geld jeden
Veränderungsimpuls, weil ja für schöne Fassaden immer genug da ist. Bin ich
ungerecht? Ja!
Was
hat das Ganze mit Jesus zu tun?
Nur,
so frage ich, was hat das Ganze noch mit Jesus zu tun, jenem armen Wanderlehrer,
der im Gestank eines Viehstalls zur Welt kam, ohne jeglichen Besitz lebte,
seine Jünger ohne Geldbeutel aussandte und schließlich auf Betreiben der
Bischöfe, Theologieprofessoren, Dekane und Pfarrer seiner Zeit am Kreuz
hingerichtet wurde?
Niemand
verlangt, dass alle, die von der Kirche leben, sofort am Bettelstab gehen
sollen. Worum es geht, ist die große Umorientierung hin zu mehr
Selbstverantwortung der Gemeindeglieder im Sinn des protestantischen
‚Priestertums aller Gläubigen‘ weg vom Tanz ums goldene Kirchensteuer-Kalb,
hin zu den Menschen und ihren Seelen und zum wichtigsten Gebot: Gott und die
Mitmenschen zu lieben wie sich selbst. Diese Umorientierung aber kommt nicht
von oben. Sie muss aus den Gemeinden, sie muss von den Gläubigen selbst kommen.
Wenn
ich die Zeit meines Studiums hinzurechne, waren es 45 interessante, aufregende
und trotz mancher Enttäuschungen doch auch erfüllte Jahre. Ich habe gekämpft, habe
ausgeteilt und musste einstecken. Habe mich geirrt und dazugelernt. Bin
schuldig geworden und habe Vergebung erfahren. Habe gelitten und wurde geheilt.
Wurde gehasst und geliebt. Ich war Pfarrer aus Leidenschaft.
Und
ich weiß, dass ich meiner evangelisch-lutherischen Landeskirche viel zu
verdanken habe. Deshalb verdamme ich sie nicht trotz aller Schwächen und
Missstände. Aber damit meine Kirche dem Auftrag ihres Herrn wieder gerecht
wird, darf sie nicht bleiben wie sie ist, sondern muss sich grundlegend ändern.
Von sich aus hat sie vermutlich nicht die Kraft dazu. Aber es werden auch
andere Zeiten kommen, in denen ihr nichts mehr anderes übrig bleibt.
Bis dahin
macht meine Frau mit den Kirchenvorständen unbeirrt weiter, eine an Jesus
orientierte, menschenfreundliche Gemeinde zu bauen. Bis dahin ziehe ich meine
Straße weiter als »Fröhlicher Partisan des lieben Gottes« (Karl Barth) solange es ihm gefällt.